Singen
Singen: Da hilft kein Singen und (kein) Beten (mehr).
Umschreibung: da ist nichts mehr zu machen [DUW]; es ist alles zwecklos, es gibt keine Abhilfe [Rö]; nichts kann das unvermeidliche Unglück noch abwenden
Historische Analyse: Die ältere Form dieses sprichwörtlichen Ausdrucks lautet 'es hilft kein Singen und Sagen' [vgl. Gr] und ist eine Übersetzung von kirchenlateinisch 'cantare et dicere (psalmum)', das heißt einen Psalm singen und sagen, Gott anbeten, loben und preisen [Rö]. Durch die Nähe eines lobpreisenden Psalmes zum Gebet dürfte die neuere Zwillingsformel 'Singen und Beten' entstanden sein. Wenn nicht einmal mehr ein Psalm oder ein Gebet helfen, sind alle zur Verfügung stehenden Mittel erschöpft und das kommende Unglück ist unvermeidlich. Grimm nennt noch weitere ähnliche Wendungen: es hilft nichts, man sing oder sage: da hilft kein bitten und reden; im neueren gebrauche ähnlich: da hilft kein singen und kein beten [vgl. Gr]. Eine Variante der Kartenspielersprache findet man bei Küpper: mit Singen und Beten gewinnen: mit knapper Not gewinnen. Aus dem Religiösen übertragen in die Kartenspielersprache des 19. Jahrhunderts [Kü, S. 26054].
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singen: Das kannst du singen!/ Das kann ich dir singen!
Umschreibung: 1.) da kannst du sicher sein [DUW]; darauf kannst du dich fest verlassen [Kü, S. 26052] 2.) das kann ich nur bestätigen [DURW]
Historische Analyse: Diese Wendung ist vermutlich eine moderne Weiterentwicklung der Redensart 'Von etwas ein Lied(chen) singen können', das heißt: von etwas so gut bescheid wissen, dass man es sogar in Liedform präsentieren könnte. Man kann den Wahrheitsgehalt aus eigener Erfahrung bestätigen (Bedeutung 2) und andere können sich getrost auf diese Bestätigung verlassen (Bedeutung 1). Die berlinerische Beteuerung 'Det kannste singen!' ist in der Form 'das kann ich dir singen' auch im übrigen deutschen Sprachraum bekannt. Die genau entgegengesetzte Bedeutung hat die nur im Wiener Dialekt gebräuchliche Wendung 'Dös müassens ma aber singen!', die Unglauben an einer Äußerung zum Ausdruck bringt [vgl. Rö]. - Entstehungszeit: 1900 ff. [Kü, S. 26052] - Gebräuchlichkeit: umgangssprachlich [DURW]
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singen: die/ alle Engel (im Himmel) singen/ pfeifen hören
Umschreibung: 1.) heftigen Schmerz empfinden, der einen für einen Augenblick lang betäubt [Rö] 2.) verzückt, begeistert, hingerissen sein [Kü, S. 7567] 3.) bezecht sein [Kü, S. 7568]
Historische Analyse: Der Redensart liegt die Vorstellung von einem Orchester der Engel zugrunde, das man musizieren hört, wenn sich einem der Himmel auftut. Das widerfährt eigentlich nur den selig Verstorbenen. [vgl. Rö]. Darauf bezieht sich die Bedeutung 2: man ist selig, verzückt, wenn man die Musik der Engel im Himmel zu hören bekommt. Heute überwiegt die scherzhafte Anwendung dieser Redensart, ihre ironische Umkehrung (Bedeutung 1). Die Engel hören wir nicht mehr im höchsten Entzücken singen (wenn der Himmel 'voller Geigen hängt'), sondern bei heftigem Schmerz, der uns für einen Augenblick lang betäubt [vgl. Rö] und uns das Gefühl gibt, dem Tod nahe zu sein. Auf die Verzückung und die Betäubung gleichzeitig bezieht sich die 3. Bedeutung, die etwa zeitgleich mit der ironischen Umkehrung aufgekommen ist (vgl. die Rubrik 'Entstehungszeit'). Der heitere Zecher ist mit sich und der Welt einig und fühlt sich 'im siebten Himmel' schweben [Kü, S. 7568]. - Entstehungszeit: 1. seit dem späten 17. Jahrhundert [Kü, S. 7568]; 2. und 3. 1700 ff. [Kü, S. 7568] - Gebräuchlichkeit: umgangssprachlich [DUW]
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singen: jemandem von/ mit etwas die Ohren vollsingen
Umschreibung: jemandem mit einer allzu ausführlichen Mitteilung lästig fallen [Kü, S. 19712]; jemandem ausdauernd von etwas klagen; abwertend [HS]
Historische Analyse: 'Vollsingen' dürfte sich in dieser Wendung auf den leiernden, jammernden Tonfall bei einer Klage beziehen, der dem Zuhörer die Ohren 'füllt' und ihm dadurch lästig ist. Küpper nennt noch zwei weniger gebräuchliche Varianten dieses Ausdrucks: 'jemandem die Ohren volltönen' und 'jemandem die Ohren volltuten': auf jemanden nachdrücklich und ausdauernd einreden [vgl. Kü, S. 19712]. - Entstehungszeit: 1900 ff. [Kü, S. 19712] - Gebräuchlichkeit: umgangssprachlich [HS]
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singen: singen/ jemanden zum Singen bringen
Umschreibung: (vor der Polizei, als Angeklagter) Aussagen machen, durch die andere (Komplizen) mit belastet werden [DUW]; jemanden verraten; etwas ausplaudern; ein Geständnis ablegen; Mittäter benennen [Kü, S. 26052]
Historische Analyse: 1.) 'Singen' ist entweder einfaches Tarnwort für 'anzeigen' oder herzuleiten von den schrillen Schmerzenslauten der Gefolterten [Kü, S. 26052]. 2.) Röhrich vermutete, dass es sich um eine Verkürzung der Redensart 'einem den (armen) Judas singen' handelt: Die vor allem im Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts sehr häufige sprichwörtliche Redensart 'den armen Judas singen (auch 'einem den Judas singen') bedeutet soviel wie: einen höhnisch schelten, verspotten, jemandem die Hölle heiß machen. Den armen Judas singen müssen: in Armut, Not, Elend, in einen Zustand geraten, in dem man Klagelieder anstimmt. Die Wendung 'den armen Judas singen' bezieht sich auf ein einst wirklich gesungenes Lied: O du armer Judas, Was hast du getan, Dass du deinen herren also verraten hast? Darumb so mustu leiden Hellische pein, Lucifers geselle Mustu ewig sein. Kyrieeleison. Es handelt sich um die Übersetzung der Schlußstrophe eines lateinischen Osterhymnus: O tu miser Juda, quid fecisti,quod tu nostrum dominum tradidisti? ideo in inferno cruciaberis, Lucifero cum socius sociaberis. Die deutsche Übersetzung und parodistische Umbildungen des Liedes zu satirischen Zwecken erfreuten sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mehrere Jahrhunderte lang größter Beliebtheit. [Rö] - Entstehungszeit: 1900 ff [Kü, S. 26052] - Gebräuchlichkeit: salopp [DUW]; rotwelsch, polizeisprachlich, kriegsgefangenensprachlich u. a. [Kü, S. 26052] - Faux Amis: Nur die zweite Bedeutungsanalyse stellt einen direkten Bezug zur Musik her. - Fremdsprachen: englisch 'to sing' und französisch 'faire chanter quelqu'un' [Kü, S. 26052]
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