aufdecken
aufdecken: etw. aufdecken
Umschreibung: etw. enthüllen, bloßlegen; etw. bewusst machen, erklären [eWDG: aufdecken]; eine Tat aufklären [Wagner 2015, S. 52]
Analyse der Bedeutung: Einer These zufolge lässt sich die Wendung etw. aufdecken mit der Strafe des Abdeckens des Hausdaches im Mittelalter in Verbindung bringen, die zunächst im Rahmen des Rügebrauchs angeordnet wurde und später in Fällen von Schulden oder Sittlichkeitsdelikten als Ehrenstrafe verhängt wurde. [Vgl. Wagner 2015, S. 52]. Der schuldig gesprochenen Person wurde dabei das Dach ihres Hauses entfernt, um sie öffentlich zur Schau zu stellen. [Vgl. HRG-AD: Ehrenstrafe]. Wurde eine Person, die sich des Diebstahls schuldig gemacht hatte, in einem Haus vermutet, deckte man das Dach des Versteckes ab, um diese festzunehmen. [Vgl. Wagner 2015, S. 52]. Diese Art der Ehrenstrafe wurde vor allem bei Männern angewandt, wenn sie sich von der Ehefrau schlagen oder beschimpfen ließen, ohne sich zur Wehr zu setzen. Die verachtenswerte Schwäche des betroffenen Mannes wurde durch das Ruinieren des Wohnsitzes bestraft, das auf symbolischem Wege über das Abdecken des Daches geschah, wodurch der Eigentümer mitsamt seinen Habseligkeiten Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert war. Überliefert ist auch das ‚Zupfählen‘ des Wohnhauses, das durch den Besitzer selbst zu erfolgen hatte und die ehrenmindernde Intention unterstreicht. Die Zerstörung der Existenz sowie des Ansehens wirkt sich als Strafe folglich sowohl auf die Ehre als auch auf das Landrecht aus. Wie diversen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Dachabdecken bis ins 18. Jh. als Strafe angeordnet. [Vgl. DRW-WA: Dach I 1d; vgl. GRA II, S. 321f.].
In Anknüpfung an das Abtragen des Hausdaches, wodurch der Behausung der Schutz und den Bewohnerinnen und Bewohnern die Privatsphäre entzogen wird, bedeutet etw. aufdecken im übertragenen Sinne, dass etwas, das im Verborgenen liegt oder evtl. negativ behaftet ist, ans Licht gebracht und vollends aufgeklärt wird. [GG] - Entstehungszeit: 16. Jh. [Wagner 2015, S. 52] -
Realienkundliches: Unter dem Abschnitt der Dachabdeckung hält Jacob Grimm in seinen Rechtsalterthümern fest, dass dies u. a. in Mainz im Jahr 1666 schriftlich geregelt war. Ließ der Mann es zu, ohne Gegenwehr oder nachträglichen Ausgleich von seiner Ehefrau Schläge einzustecken, und konnte dies bezeugt werden, wurde ihm von der örtlichen Bevölkerung am Fastnachttag oder Aschermittwoch das Dach bis zur vierten Dachlatte von oben beginnend abgerissen:
Ein mainziſcher amtsbericht vom j. 1666 enthält: es iſt ein alter gebrauch hierumb in der nachbarſchaft, fals etwan ein frauw ihren mann ſchlagen ſollte, daß alle des fleckens oder dorfs, worin das factum geſchehen, angrenzende gemärker ſichs annehmen, doch wird die ſach uff den letzten faßnachttag oder eſchermittwoch als ein recht faßnachtſpiel verſparet […], da denn alle gemärker, nachdem ſie ſich 8 oder 14 tag zuvor angemeldet, jung u. alt, ſo luſt dazu haben, ſich verſammeln, mit trommen, pfeif und fliegenden fahnen zu pferd u. zu fuß dem ort zuziehen, wo das factum geſchehen, vor dem flecken ſich anmelden u. etliche aus ihren mitteln zu dem ſchultheßen ſchicken, welche ihre anklage wider den geſchlagnen mann thun, auch zugleich ihre zeugen, ſo ſie deswegen haben, vorſtellen. nachdem nun ſelbige abgehöret und ausfündig gemacht worden, daß die frau den mann geſchlagen, wird ihnen der einzug in den flecken gegönnt, da ſie dann alſobald ſich alleſambt vor des geſchlagnen manns haus verſammeln, das haus umbringen und falls der mann ſich mit ihnen nicht vergleicht und abfindet, ſchlagen ſie leitern an, ſteigen auf das dach, hauwen ihme die firſt ein und reißen das dach biß uff di vierte latt von oben an ab; vergleicht er ſich aber, ſo ziehen ſie wieder ohne verletzung des hauſes ab. falls aber der beweis nicht kann geführt werden, müßen ſie ohnverrichter ſach wieder abziehen (d. h. werden ſie nicht in den flecken eingelaßen). Journal v.u. f. Deutſchl. 1787. 1, 194). [GRA II, S. 319f.]
Für das Fürstentum Fulda galt bis in die zweite Hälfte des 18. Jhs. im selben Fall, dass die Behausung des Ehepaares gänzlich von Bediensteten unter Anweisung des Hofmarschallamts abgedeckt wird:
Im fürſtenthum Fulda: wird ein mann überwieſen von ſeiner frau ſchläge empfangen zu haben, ſo hat das fürſtl. hofmarſchallamt das recht die ſache zu unterſuchen und, wenn die that gegründet iſt, eine ganz außerordentliche ſtrafe zu erkennen, welche darin beſteht, daß das eigentliche wohnhaus des ehepaars durch ſämmtliche in fürſtlicher livrei ſtehende bedienten abgedeckt werde. noch im j. 1768 und 1769 vollzogen. Journ. von u. für Deutſchl. 1784. 1, 136. [GRA II, S. 320]
Für das deutsche Blankenburg um 1594 notiert Grimm, dass bei Hinnahme von physischen Verletzungen oder Scheltworten durch die Ehefrau der betroffene Ehemann im Sinne einer Buße die zwei Stadtknechte mit Kleidung aus Wolle auszustatten habe. Ist ihm dies nicht möglich, wird eine Gefängnisstrafe und das Abdecken des Hausdaches verhängt:
Iſt ein man ſo weibiſch, daß er ſich von ſeinem eignen weibe raufen, ſchlagen u. ſchelten läßt und solches nicht eifert und klaget, der ſoll des raths beide ſtadtknechte mit wüllen gewand kleiden, oder da ers nicht vermag, mit gefängnis geſtraft u. ihm hierüber das dach auf ſeinem hauſe abgehoben werden. Blankenburger ſtat. von 1594 (Walch 5, 88). [GRA II, S. 320f.]
Diastratik: umgangssprachlich [eWDG: aufdecken] - Interlingual Kompatibles: dän.: afsløre [PONS]; engl.: to uncover sth [PONS]; isl.: afhjúpa [PONS]; norw.: avtäcka, avslöja [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel
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