bluten
bluten: (für etw.) bluten (müssen)
Umschreibung: einen Verlust erleiden müssen, für etw. büßen [ROE: Blut]; etw. Schmerzliches erleiden [DWB2: bluten]; finanziell für etwas aufkommen müssen [GG]
Analyse der Bedeutung: Das Substantiv ‚Blut‘ lautet im Ahd. (8. Jh.) sowie im Mhd. blout, im Asächs. Aengl. blōd, im Engl. blood, im Mnd. blōt, im Mnl. bloet, im Nl. bloed, im Afries. blōd, im Anord. blōð, im Schwed. blod und wird im Got. als blōþ wiedergegeben. Die genannten Formen gehen auf germ. *blōþa- zurück, wobei es sich um eine Bildung zu ie. *bhlē-, *bhlō- (‚Blume, Blüte, Blatt, blühen, üppig sprießen‘) handelt, an welche die Suffixe ie. -to- sowie germ. -þa- gehängt werden, sodass mit ‚hervorquellendem Blut‘ der metaphorische Sinn von ‚etw. üppig Gesprossenes‘ verknüpft ist. Die vom Substantiv abgeleitete Verbalform ‚bluten‘ (‚Blut verlieren‘) weist darüber hinaus die Formen ahd. (8. Jh.) und mhd. bluoten, mnd. blȫden, blōden, afries. blēda, aengl. blēdan und schließlich anord. bloeða auf. [Vgl. WPE: Blut]. Die Wendung (für etw.) bluten (müssen) stellt die verkürzte Form zur älteren Variante Blut lassen müssen dar und leitet sich einer These zufolge aus einer besonderen Strafform ab, wobei bei Kapitalverbrechen der verurteilten Person eine Ader aufgeschnitten wurde, um das Blut fließen zu lassen. [Vgl. ROE: Blut]. Wander ergänzt dazu, dass es sich um eine alte Soldatenstrafe handelt. [Vgl. DSL: Blut]. Während die Kapitalstrafe des ‚Ausblutens‘ im Fall von Fahnenflucht über Rechtstexte nicht näher nachweisbar ist, tritt eine derartige Hinrichtungsform im Rahmen von Hexenprozessen bei Kindern als sog. sectio veniae in Erscheinung. [Vgl. HRG-WS: Ausbluten]. Das verurteilte Kind wurde dazu in ein Bad gesetzt, wie es für Württemberg üblich gewesen war. [Vgl. Rau 2003, S. 55]. Über das Austreten des Blutes sollte dem verurteilten Kind ein sanftes Entschlafen als milderes Todesurteil gewährt werden. Es besteht dazu die Annahme, dass weniger die Intention bestand, über dem ‚Hexenkind‘ eine Hinrichtungsstrafe zu verhängen, als vielmehr das Teuflische zu zerstören. Als erzählerisches Motiv fand das Ausbluten an Kindern in Hexensagen des 19. Jhs. Einzug. [Vgl. HRG-WS: Ausbluten].
Ist eine Person im metaphorischen Sinne gezwungen zu bluten, so fungiert das realhistorische Bild der geöffneten Ader als ‚Bildspender‘, um einen (finanziellen) Verlust oder eine Buße zu umschreiben, die sich sowohl auf eine Person oder eine Sache beziehen kann. Die Adressantin/der Adressat der sprachlichen Äußerung nimmt dazu die Perspektive der verurteilten Person, die den Schaden erleidet, ein. [GG] - Entstehungszeit: 18. Jh. [ROE: Blut]; 17. Jh. (für etw. bluten) [KUE I: bluten] -
Realienkundliches: Am 15. November 1685 wurde festgestellt, dass sich der neunjährige Caspar Meyr bereits im Alter von vier Jahren mit dem Teufel verschworen und ein Haus angezündet habe. Nachdem er der Hinrichtung seiner drei Komplizinnen am Scheiterhaufen unter Ohnmachtsanfällen beigewohnt hatte, kam er bis Ende des Jahres ins Gefängnis. Nach einer erneuten Anhörung schwor er dem Teufel ab und wünschte sich ein Bad, wo man ihn zur Ader lassen sollte. Dabei habe es sich angeblich um seinen eigenen Exekutions-Wunsch gehandelt:
ein bädle verlangt er, auf langes Zusprechen, waß dan die rechte Vrsach seye, sagt er endlich, er möchte halt bald sich seübern vnd da soll man ihm ader lassen, damit die Vnlust vnd Vnmuth von ihm khomen (StAA, RSt, Strafamt, UrgS K 238 (Mayr), Urg. vom 12. Januar 1686, Nr. 628, 629) [Rau 2003, S. 241, Fußnote 368]
Der Junge wurde wahrscheinlich nicht hingerichtet und sein Fall fand in weiteren Prozessakten keine Fortsetzung. [Vgl. Rau 2003, S. 373–376].
Interlingual Kompatibles: engl.: to have to bleed for sth. [PONS]; engl.: to have/ought to cough up [or fork out] [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik
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bluten: jmdn./etw. bluten lassen
Umschreibung: jmdn. viel Geld bezahlen lassen [vgl. eWDG: bluten]; jmdn./etw. für etw. büßen lassen [vgl. DWB1: bluten]; jmdn. übervorteilen, betrügen [vgl. DSL: Bluten]; jmdn./etw. hart bestrafen [GG]
Analyse der Bedeutung: Zur etymologischen Analyse sowie zur historischen Zuordnung zur Strafe des Ausblutens siehe die vorangehende Wendung ↑(für etw.) bluten (müssen).
Lässt man eine Person oder etwas aus einem bestimmten Grund bluten, so schlüpft man perspektivisch in die Rolle des Strafvollstreckers, der die Ader öffnet, um die verurteilte Person ausbluten zu lassen. In Anlehnung an diese historische Szene drückt man mit der metaphorischen Wendung einerseits aus, dass man jmdn. oder etw. einer strengen, harten Bestrafung unterzieht. Andererseits bildet der Blutfluss das Fundament für die übertragene Bedeutung jmdm. Geld abzuzapfen, wobei der Fluss des Geldes analog zum Blutfluss gesetzt wird. [GG] - Entstehungszeit: 18. Jh. [ROE: Blut] - Realienkundliches: Siehe dazu den Eintrag innerhalb der metaphorischen Redensart ↑(für etw.) bluten (müssen). - Diastratik: salopp [eWDG: bluten]; umgangssprachlich [DUO: bluten] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Interlingual Kompatibles: engl.: to bleed sb dry [or white] [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik
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