Galgen
Galgen: ein Galgen für jmdn./etw.
Umschreibung: das (drohende) Ende für etw./jmdn. [GG]
Analyse der Bedeutung: Das maskuline Substantiv ‚Galgen‘ bedeutete ursprünglich ‚ein aus Pfahl und Querbalken bestehendes Gerüst zur Vollstreckung des Todesurteils durch Erhängen‘ und wurde anschließend für Vorrichtungen verwendet, die damit eine Ähnlichkeit und denselben Nutzen zum Aufhängen aufweisen. Einige historische Formen lauten ahd., asäch. galgo, mnd. und mhd. galge, wobei die Endung auf -en im 14. Jh. auftritt, mnl. galghe, afries. galga, aengl. g(e)alga, anord. galgi, welche für engl. gallows prägend war und schließlich got. galga (germ. *galgōn). Neben ‚Galgen‘ referierten sie allesamt auch auf das ‚Kreuz Christi‘, wobei dieses später über die entlehnte Form aus lat. crux ausgedrückt und somit ersetzt wurde. Als gemeingerm. Vokabel leiten sich die Formen aus ie. *g̑halg(h)- her, womit ‚(biegsamer) Zweig, Stange‘ gemeint ist. [Vgl. WPE: Galgen].
Der metaphorische Ausdruck ein Galgen für etw./jmdn. hat seinen Ursprung in der bereits seit dem Altertum verhängten Todesstrafe durch Erhängen an einem Galgen. [GG] Bevor die Galgen-Vorrichtung entwickelt wurde, befestigte man einen Strick oder eine Weidenrute sowohl an blätterlosen Bäumen, die aufgrund ihrer Kahlheit Ehrlosigkeit symbolisierten, als auch an immergrünen Bäumen [Vgl. Kocher 1992, S. 127; vgl. HRG-HL: Galgen]. Nach Möglichkeit wurden jedoch tote Bäume ohne Laub verwendet, da sich nach damaligen religiösen Überzeugungen ihre Abgestorbenheit als tötende Kraft auf die Gehängte bzw. den Gehängten übertrug. Vor dem Hintergrund dieser Annahme löste selbst der Gedanke an die bloße Berührung des Galgens bzw. der dementsprechenden Konstruktion große Angst aus. [Vgl. Ortner 2017, S. 32f.].
Was das nähere Prozedere betrifft, so ist insbesondere für die frühere Zeit belegt, dass die verurteilte Person an einen heruntergebogenen Opferbaum gebunden wurde, um sie im Anschluss in die Höhe schnellen zu lassen. [Vgl. WPE: Galgen]. Während des Mittelalters war das Erhängen die am meisten verhängte Form der Todesstrafe im Falle von Diebstahl, da sie von besonders ehrlosem sowie schändlichem Charakter war, der dadurch verstärkt wurde, indem der gehängte Körper nicht beerdigt wurde und so lange am Galgen zu baumeln hatte, bis dieser durch Witterung und Aasfresser zersetzt war. [Vgl. Ortner 2017, S. 32].
Durch Kaiser Karl den Großen setzte ab dem Frühmittelalter die Konstruktion künstlicher Galgen ein, wobei vorerst zwei senkrechte Pfosten über ein Querholz verbunden waren. Darauffolgende Galgenvariationen waren dreibeinig und ebenfalls über Querhölzer verbunden. Häufig waren diese auf einem Steinsockel in erhöhter Lage errichtet. Neben hölzernen Konstruktionen wurden die Säulen auch aus Stein erbaut. Eine Variante zum Galgen stellt die Garotte, ein Würgeeisen, dar, wobei ein Sitz, an einem Pfahl fixiert, eine Vorrichtung zum Fesseln und eine Eisenklammer installiert ist, die um den Hals der verurteilten Person gelegt wird und über eine dahinterliegende Schraubvorrichtung zugezogen werden kann. Diese Form des Erwürgens stellte z. B. in Spanien ab dem 19. Jh. bis zur Franco-Diktatur die am meisten angeordnete Todesstrafe dar. [Vgl. Ortner 2017, S. 33f.].
Um die bzw. den Verurteilten zu hängen, benötigte man ein Hanfseil oder eine Kette sowie mindestens eine Leiter. Das Seil wurde vom Henker am Galgenhaken fixiert, die Schlinge der/dem Verurteilten um den Hals gelegt. Anschließend stieg der Henker die Leiter hinab und stieß diese um, wodurch sich die Schlinge um die in der Luft Baumelnden/den in der Luft Baumelnden zuzog und Luftröhre sowie Blutgefäße verschlossen wurden, sodass der Tod durch Ersticken eintrat. [Vgl. Ortner 2017, S. 32]. Neben der zur Strafe gehörenden nachträglichen Schändung des Leichnams konnte die Hinrichtung noch zusätzlich insofern verschärft werden, als dass erstens die Delinquentin/der Delinquent an den Füßen aufgehängt wurde, wodurch der Tod um Stunden oder Tage hinausgezögert werden konnte. Zweitens existierte die Praxis des Hängens mit Hunden, die die Schändlichkeit der verurteilten Person symbolisch akzentuieren sollten. Mit Hinblick auf eine mit der Hinrichtung belegte Räuberbande gab es drittens die Möglichkeit, über übereinander gebaute Galgen den Kopf der Bande höher zu hängen, während der Rest unter diesem baumelte. Der Tod konnte viertens durch das Hochziehen am Galgen hinausgezögert werden. Nachdem der zu hinrichtenden Person die Schlinge um den Hals gelegt worden war, wurde das Seil über den Galgen und durch den Haken gelegt und schließlich durch die Knechte oder ein Pferd vom Boden weg in die Höhe manövriert. [Vgl. Ortner 2017, S. 33].
Was die Errichtung des mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Galgens betrifft, wurde diese durch die Obrigkeit angeordnet. Zur Mithilfe waren alle Gilden und Zünfte sowie der Richter selbst aufgefordert, wobei unfachmännische Personen symbolische Unterstützung durch Reichen von Baumaterialien leisteten. Die Intention dahinter war die bereits genannte Überzeugung, dass selbst das Anfassen des Galgens negative Folgen haben konnte und ehrlos machte. Nach erfolgter Arbeitsleistung wurde zu kollektivem Speis und Trank geladen; dazu stellen erhaltene Abrechnungen Belege für relativ hohe Ausgaben dar. [Vgl. Ortner 2017, S. 33f.]. Als Symbol der Hochgerichtsbarkeit wurde für den Standort des Galgens eine möglichst erhabene sowie von weitem erkennbare Stelle gewählt, um auch abschreckend zu wirken. Auf differente ehemalige Errichtungsplätze wie Heeresstraßen, Wegscheiden, Flurstücken oder Hügeln deuten aktuelle örtliche Bezeichnungen wie ‚Galgenwiese‘ oder ‚Galgenberg‘ hin. [vgl. Ortner 2017, S. 33] Die Todesstrafe des Erhängens ist die einzige und letzte aus archaischer Zeit, die aktuell noch breite Anwendung findet. [Vgl. Ortner 2017, S. 34].
Der metaphorische Ausdruck ein Galgen für etw./jmdn. bezieht sich folglich auf die unterschiedlichen Galgenvorrichtungen, die das sichere Todesurteil für ein Lebewesen oder eine Sache bedeuten und damit im übertragenen Sinne das Ende von etwas Bestimmtem markieren. [GG] -
Realienkundliches: Von einem mythologischen Blickwinkel aus betrachtet, hängt der durch einen Speer verletzte Odin, wie im Hávamál-Mythos berichtet wird, neun Nächte lang auf dem dem Wind ausgesetzten Weltenbaum, um sich als Opfer für sich selbst darzubringen:
Veit ec, at ec hecc vindgameiði á
nætr allar nío,
geiri undaðr oc gefinn Óðni,
siálfr siálfom mér,
á þeim meiði, er mangi veit,
hvers hann af rótom renn. [Gippert 2003, Str. 138, 1–6]
Galgenbäume fanden auch noch in späterer Zeit Verwendung, wie sich bspw. anhand der offiziell gelisteten Gehängten an sog. ‚hanging trees‘ oder ‚hangman’s trees‘ in den Vereinigten Staaten von Amerika, oder den ‚dule/dool trees‘ in Großbritannien belegen lässt. In Arizona wurden zum Beispiel am sog. ‚Greaterville Hanging Tree‘ im Jahr 1915 zwei mexikanische Männer von Offizieren gelyncht. [Vgl. Carrigan/Webb 2013, S. 125–127].
In einer Ausgabe des wahrscheinlich nach 700 n. Chr. entstandenen Heldengedichts Beowulf des Gerhard Nickel (Erscheinungsdaten der Bände: 1976-1982) findet sich belegt, dass der Leichnam eines Gehängten als Futter für die Raben dient. Dieser Umstand sowie die auferlegte Hilflosigkeit sprechen für die beiden Strafumstände des Erhängens, und zwar dass die gehängte Person weder beerdigt noch durch andere Personen vom Galgen abgenommen werden darf:
swā bið zeōmorlīc zomelum ceorle tō zebīdanne ... þonne his sunu hangað hrefne tō hrō(ð)re ond hē him help(e) ne mæz, eald ond infrōd, ǣnize zefremman [so ist es für einen alten Mann traurig, ... wenn sein Sohn den Raben zum Fraß am Galgen hängt und er, als alter und betagter Mann, ihm keinerlei Hilfe gewähren kann] (vor 750? Beowulf(Nickel) V. 2447) [DRW-WA: Sohn II]
Semantische Prozesse: phraseologisiert - Allgemeiner Gebrauchskontext: Mediensprache - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik - Querverweis: ↑(für jmdn./etw.) (das/ein) Todesurteil (sein/bedeuten)
* * *
Galgen: am Galgen hängen
Umschreibung: vollkommen ausgeliefert, abhängig und machtlos sein; in der gesamten Existenz bedroht sein; geliefert sein [GG]
Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie von ‚Galgen‘ sowie zu ‚hängen‘ siehe die Wendungen ↑ein Galgen für jmdn./etw. und ↑jmdn. hängen sehen wollen.
Die figurative Redewendung am Galgen hängen lässt sich in ihrem historischen Aspekt dem Bildbereich des Todesurteils durch Erhängen an einer Galgenvorrichtung zuweisen. Vgl. auch hierzu die Wendung ↑ein Galgen für jmdn/etw.
Hängt etwas oder eine Person nach bildlichem Verständnis am Galgen, so wird vor dem Hintergrund der historisch-bildprägenden Szene, wo die/der Verurteilte in der Luft am Galgen befestigt zappelt und sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod befindet oder bereits leblos baumelt, ausgedrückt, dass man seinem Schicksal oder Umständen aller Art völlig ausgeliefert ist, diesen gegenüber machtlos ist und sich dadurch in der gesamten Existenz bedroht sieht. [GG] -
Realienkundliches: Der Deutschenspiegel aus dem Jahr 1275 fordert bei Straßenraub an Pfaffen, Pilgern und Kaufleuten das Erhängen an der Straße. An den eigentlichen Galgen werden andere Personen geliefert, während andere räuberische Taten mit dem Enthaupten geahndet werden:
42.
§1. Nieman mac den rehten strâzraup begân wan an drîer hande liuten: an pfaffen, an pilgrîmen, an kaufliuten. Swer die beraubet ûf der strâze, den sol man henken, ze der strâze, niht an den galgen dâ man ander liute ane henket. Ander rauber sol man enthaupten. [Eckhardt/Hübner 1930, S. 118, §1]
Zu ergänzenden Beispielen rund um den Galgen siehe die Einträge innerhalb ↑ein Galgen für jmdn./etw.
Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik - Querverweis: ↑geliefert sein
* * *