Henker
Henker: der/die Henker (von etw./jmdm.) (sein)
Umschreibung: blutiger Tyrann, grausamer Diktator [eWDG: Henker]; im positiven Sinne: jmd. der besiegt und bildlich vernichtet [GG]
Analyse der Bedeutung: Das Verbum ‚henken‘ in der Bedeutung von ‚hängen machen, (auf)hängen, durch den Strang hinrichten’ stellt die obd. Form zu ahd. sowie mhd. hengen dar und wird im Ahd. sowie Mhd. als henken mit konkretem mittelalterlichem Bezug zum Hängen am Galgen wiedergegeben. Im oberdeutschen Sprachraum wird mittels ‚henken‘ in heutiger Zeit nach wie vor auf das Aufhängen von jeglichen Dingen referiert. Sowohl ‚hängen‘ als auch ‚henken‘ werden bis ins 16. Jh. in den Präteritalformen umlautlos realisiert wie bspw. anhand von mhd. hancte ersichtlich ist. Analog zur Verbalform stammt auch das volkssprachliche Substantiv ‚Henker‘ (‚Scharfrichter‘) aus dem Oberdeutschen. Parallele frühere Bezeichnungen stellen frühnhd. henger, hänger sowie mhd. hāhære, hāher dar, die jedoch ab dem 16. Jh. zurücktreten. [Vgl. WPE: henken].
Der vorliegende metaphorische Ausdruck ein/der/die Henker (von etw./jmdm.)( sein) bezieht sich auf den Berufsstand des Henkers, dessen Bezeichnung, wie erwähnt, im Zusammenhang mit der Todesstrafe durch Erhängen steht. [GG] Auf ähnliche Weise verhält es sich mit der Betitelung ‚Scharfrichter‘, die sich streng genommen auf die Hinrichtung durch das Schwert bezieht. Weitere synonym gebrauchte Berufsbezeichnungen sind bspw. ‚Freimann‘, ‚Gevepine‘, ‚Haher‘, ‚Hangmann‘, ‚Hitzel‘ sowie ‚Kafler‘ [vgl. dazu DRW-WA: Henker] oder ‚Abkürzer‘, ‚Angstmann‘ und ‚Rumpfrecker‘ [vgl. HRG-AD: Henker]. Die Benennung ‚Nachrichter‘ stellt dabei die neutralste dar. Ungeachtet der Nennungen vollstreckte der Henker in früherer Zeit jegliche Art der Hinrichtung und war neben der Folter, dem Vollzug von Leibesstrafen sowie Ehrenstrafen für viele andere Aufgabenbereiche wie das Abdecken, die Beaufsichtigung von Prostituierten, die Entsorgung von Leichen und die Säuberung der Straßen und der Kloaken zuständig. Auch bei Fragen zur Heilkunde, die Menschen sowie Tiere betrafen, wurde er konsultiert. Die frühesten schriftlichen Henkers-Belege in Deutschland lassen sich für das 13. Jh. eruieren, wobei viele Städte erst im 16. Jh. eine solche Berufsgruppe einzuführen scheinen. Zuvor war es üblich, dass Familienmitglieder der leidtragenden Person, Fronboten oder die jeweilige Dorfgemeinschaft diese Aufgabe übernahmen. Während der Berufsstand des Henkers im Orient die Macht des Herrschers widerspiegelte und dementsprechend als höchst geschätzt galt, nahm der Henker bei den Griechen und Römern die Rolle eines Staatssklaven und Geächteten ein. Der römische carnifex war durch ein eigenes Gewand optisch ausgewiesen und war dazu angeleitet, sein eigenes Herannahen durch den Klang einer kleinen Glocke anzukündigen. Analog zum griechischen Vollstrecker der Todesstrafe war es ihm untersagt, innerhalb der Stadt zu wohnen. Vermutlich durch die Rezeption des römischen Rechts, welches auch als Vorlage für die Folterpraxis diente, motiviert, wurde sein Amt im mittelalterlichen, insbesondere jedoch im spätmittelalterlichen deutschsprachigen Raum diffamiert und als ehrlos betrachtet. Der Beruf war zusätzlich mit diversen Einschränkungen, die Grundbesitz, Zunftwesen oder Geschäftsfähigkeit betrafen, verbunden und wurde darüber hinaus auf die nächste Generation übertragen. Das hatte zur Folge, dass der Henkerssohn derselben beruflichen Tätigkeit nachgehen musste und die Tochter dazu gezwungen war, in eine Henkersfamilie einzuheiraten, sodass daraus ganze Henkersdynastien hervorgingen, die sich mitunter über eigenständig verfasste Chroniken nachweisen lassen. Von besonderer Berühmtheit sind die Familien Sanson in Frankreich, Deibles in Deutschland sowie Grossholz und Vollmars in der Schweiz. Während der Ausführung des richterlichen Urteils bedeckte der Nachrichter sein Gesicht mit einer Kapuze, die ihn vor dem ‚bösen Blick‘ oder einen Fluch der/des Verurteilten bewahren sollte. Weitere abergläubische Vorstellungen lassen sich anhand der erbettelten gebrauchten Galgenstrickreste nachvollziehen, denen magische Kräfte zugeschrieben wurden. Anhand von vielfach überlieferten Selbstmorden und Straffälligkeiten liegt der Schluss nahe, dass die berufliche Tätigkeit ihre Spuren in der Psyche des Henkers hinterließ. Das Ausliefern an die natürlichen Elemente, wie es bei der Kreuzigung oder dem Lebendig-Begraben der Fall ist, sowie die ‚Hinrichtung zur gesamten Hand‘, die die Steinigung oder das Erschießungskommando betrifft, bot/bietet die Möglichkeit, die letztendliche Tötung nicht an einer Einzelperson, sondern entweder an der Natur oder an einem Kollektiv festzumachen. Ab der frühen Neuzeit nahm die Diffamierung sukzessive ein größeres Ausmaß an, bis diese im 17./18. Jh. kulminierte. Ab der Mitte des 18. Jhs. gelang es, wie es insbesondere innerhalb von Preußen nachweisbar ist, eine Differenzierung zwischen der ‚unehrenhaften‘ Tätigkeit des Henkers und dem ‚ehrenhaften‘ Scharfrichter, der mit dem Schwert richtet, einzuführen. Die Aufklärung veranlasste eine deutliche Reduktion von Körperstrafen, Anwendung der Folter sowie der Anzahl an Hinrichtungen, was zur Folge hatte, dass auch die Zahl an Henkern abnahm und jeweils einer innerhalb eines größeren geografischen Raumes zu praktizieren hatte. Ab 1924 führte der bayrische Scharfrichter Johann Reichart das Amt aus und vollstreckte sowohl während des NS-Regimes als auch danach unter der US-Militärregierung Todesstrafen. 1949 wurde innerhalb Artikel 102 des Grundgesetzes die Hinrichtung sowie der damit verbundene Henkersberuf innerhalb der Bundesrepublik abgeschafft. [Vgl. Ortner 2017, S. 118–126; vgl. HRG-AD: Henker].
Wird bspw. eine Person als Henker bezeichnet, werden ihr einerseits, insbesondere in Anlehnung an die Vollstreckung der Todesstrafe, im übertragenen Sinne Eigenschaften zugeschrieben, die von vergleichbarer Grausamkeit und Brutalität zu sein scheinen. Während die Henkers-Metapher in diesem Sinne pejorativ wirkt, kann sie vor allem dann, wenn z. B. jemand im sportlichen Duell jemanden gnadenlos besiegt, als besonders aufwertend zum Einsatz kommen und ist damit von ihrer ursprünglichen Bedeutung am weitesten distanziert. [GG] -
Realienkundliches: Das Augsburger Stadtrecht von 1276 beinhaltet unter Artikel 27 die erste schriftliche Nennung eines Henkers in Deutschland:
§ 1
der hencker hat daz reht daz er sol rihten uber allez daz an den lip gat. [DRW-WA: Henker]
Innerhalb des Statuarrechts der Landschaft Frutigen bis 1798 befindet sich das Satzungenbuch („Satzung vnd Landrecht“) der Freiherrschaft, von 1541, mit Zusätzen von 1548, 1597 Oktober 28., 1600 Februar 7., 1616 November 1., 1640 Hornung 24., 1695 November 4. Spiez., welches unter dem Abschnitt 43 – hier auszugshaft wiedergegeben – die Verdienste sowie einige Geziemlichkeiten des Nachrichters regelt. Dabei hat sich der Berufsstand symbolisch entweder durch einen Strick oder ein Jägerhorn am Ärmel kenntlich zu machen:
43. Ordnung deſz nachrichters. Des ersten schweret er einem rat vnd der statt Bern gemeinlich vnd allen den ihren vf dem land treüw vnd warheit zeleisten vnd zu halten, ihren schaden zewenden vnd nutzen zefürdern, so vern er sich deſz in allen dingen vnd sachen und an allen orten und enden verstaht und das vollbringen mag, by guten treüwen vnd ohne gefärd, auch das zu hälen, was zu hälen ist, vnd fürbringen, was fürzebringen ist.
Er soll sich auch benuͤgen laſzen seines wochenlohns, jeder wochen drithalb pfund von der statt seckelmeister, vf jedem zinstag zue empfangen; auch gibt man jährlich ein bůchen, die er in seinem costen soll vfholtzen vnd heimbt fuͤhren lahn, darzu das tuch, wie anderen dienern.
Er soll sich auch dermaſzen halten vnd tragen, daſz es einem schultheiſzen vnd rat gefellig, anderst sie alle monat oder alle wochen gewalt hand, ihne zu vrlauben.
Er soll auch ane besonders vrlaub von der stat oder dem dienst nicht noch scheiden, darzu soll er sich zu kirchen vnd straſzen demuͤtigklich halten, sich gegen mennigklich fridlich vnd fründlich erzeigen, der schwüren sich entzeüchen vnd muͤſzigen vnd niemand schmach weder mit worten vnd wärken beweisen, besonders fromen biderben leüten ehr anthun vnd weichen, auch uf die stuben vnd gesellschaften zegahn sich muͤſzigen, vnd zu einer anzeig seines stands einen strick oder jegerhorn vf dem ermel tragen vf mgh farb.
Vnd so er in den thurn beruͤft wirt, ein person, weib oder mann, an dem seil oder anderer marter zu befragen, so ist sein lohn 1 [Pfund] 10 [Schilling] můſz er aber dieselbe person darnach mehr fragen, so ist sein lohn zechen schilling vnd darnach nit mehr.
Vnd wann er einen menschen schlächtlich richtet, so ist sein lohn 1 [Pfund] 5 [Schilling] für handschuh und 5 [Schilling] für den strick; so er aber einen menschen ratbrächt, viertheilt, verbrent vnd läbendig vergrabt oder der gleichen schwäri todt anthut, so ist sein lohn an der schatzung, wie obstaht, zweyfach, vnd wann er auch zu einem menschen zu töden, roſz vnd geschirr brauchen můſz, soll er sie widerumb, so mans lösen will, zu lösen gäben vmb 2 [Pfund] pf.
Was der übelthäter und arm mensch, den man richten wird, nach ergangner vrtheil, so er dem nachrichter an die hand gäben würt, für kleider und anders by vnd an ihm hat, soll dem nachrichter bleiben. […]
[Rennefahrt 1937, S. 178f.]
Semantische Prozesse: im sportiven Kontext meliorativ - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik
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Henker: fahren wie ein/die Henker
Umschreibung: sehr schnell, halsbrecherisch und rücksichtlos fahren [DUR: fahren]
Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie von Henker siehe den Beleg ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein) der auch die zugehörige Analyse zum Henkersberuf beinhaltet.
Steuert jemand sein Fahrzeug wie ein Henker, wird vor dem Hintergrund des Berufsbildes des Henkers, der die Todesstrafen und andere peinliche Strafen vollstreckte, darauf referiert, dass die Fahrerin/der Fahrer ohne jegliche Rücksicht und völlig riskant fährt, sodass sie/er auch andere gefährdet. Die Rücksichtslosigkeit ist dabei analog zur absoluten Gnadenlosigkeit des Henkers zu verstehen. [GG] - Realienkundliches: Vgl. dazu ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein). - Diastratik: umgangssprachlich [DUR: fahren] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart; pejorativ - Allgemeiner Gebrauchskontext: verkehrsspezifischer Kontext - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik; Vergleich
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Henker: wer/was/wie/wo/warum zum Henker / was zum Henker…?
Umschreibung: Ausruf der Verärgerung, des Erstaunens [DUR: Henker], in Ausdrücken einer Verwünschung oder eines Fluches [eWDG: Henker]
Analyse der Bedeutung: Zur etymologischen Herleitung des Substantivs Henker sowie zum historischen Abriss des Berufs, auf welchen sich der vorliegende variantenreiche, bildhafte Beleg zurückführen lässt, siehe ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein).
Die metaphorischen Varianten wer/was/wie/wo/warum zum Henker / was zum Henker…? betreffend wird das Substantiv ‚Henker‘ als synonymer euphemistischer Begriff für ‚Teufel‘ verwendet, da es sich dabei um einen tabuisierten handelte. [Vgl. ROE: Henker; vgl. LDR: Henker; vgl. eWDG: Henker; vgl. DWB1: henker]. Als (verfluchender) Ausruf oder Bestandteil einer Äußerung findet das Wort ‚Henker‘ Verwendung, um Emotionen wie Wut, Ärger oder Verblüfftheit auszudrücken. [GG] - Realienkundliches: Zu realienkundlichen Aspekten rund um den Beruf des Henkers siehe die Einträge unter ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein). - Diastratik: salopp [DUR: Henker] - Semantische Prozesse: phraseologisiert - Interlingual Kompatibles: engl.: hang it all! [PONS]
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Henker: weiß der Henker (was…)
Umschreibung: ich weiß es nicht, es ist ein Rätsel [DUR: Henker]
Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie des Maskulinums ‚Henker‘ sowie den Erläuterungen zum Beruf, auf welchen sich der vorliegende Beleg bezieht, siehe ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein).
Analog zu den Varianten ↑wer/was/wie/wo/warum zum Henker / was zum Henker…? fungiert das Substantiv als verhüllender Ausdruck stellvertretend für den Teufel, um in salopper Weise zu betonen, dass man etwas ganz und gar nicht weiß. [GG] - Realienkundliches: Beachte dazu die angeführten Belege unter ↑der/die Henker (von jmdm./etw.) (sein). - Diastratik: salopp [DUR] - Semantische Prozesse: phraseologisiert
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