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Kerbholz

Kerbholz: etw. auf dem/am Kerbholz haben

Umschreibung: nicht unschuldig sein, allerlei Verbrechen begangen haben [LDR: Kerbholz]; eine, mehrere Straftaten begangen, etwas Unrechtes getan haben, einen, mehrere Einträge im Strafregister haben [ZDL: auf dem Kerbholz haben]

Analyse der Bedeutung: Das Neutrum ‚Kerbholz‘, mit welchem auf einen ‚Holzstock, in den Zahlen und Zeichen zur Schuldenberechnung eingeritzt werden’ referiert wird, bildete sich nach Pfeifer im 15. Jh. heraus. [Vgl. WPE: kerben]. Bereits ab dem 14. Jh. weist ein rechtlicher Beleg die Form kerueholze auf. [Vgl. DRW-WA: Kerbholz I]. Die Verbalform ‚kerben‘ (‚ritzen, einschnitzen, markieren‘) wird zunächst stark, dann schwach flektiert und weist die germanischen Formen aengl. ceorfan, mhd. kerben (‚einen Einschnitt machen‘, aufs Kerbholz einschneiden‘), mnd., mnl. und nl. kerven sowie engl. to carve auf. Über griech. gráphein (γράφειν), aslaw. žrěbъ, žrěbịjь (‚Würfel, Los, Geschick, Erbe‘ sowie ‚gekerbtes Stück Holz’) und russ. žérebej (жеребей) könnte evtl. auf ie. *gerbh-, *grebh- mit der Bedeutung von ‚ritzen, kratzen, krabbeln’ geschlossen werden. [Vgl. WPE: kerben]. Als Synonyme sind die bergmännische Bezeichnung ‚Rabisch‘, bayerisch-österreichisch ‚Tessle‘, mhd. kerbstock und reitholz belegt, wobei letzteres an mhd. rîzen und damit engl. to write sowie aengl. score (‚Kerbe‘) mit screran (‚Rechnung‘, ‚offene Schuld‘) anknüpft. [Vgl. DRW-WA: Kerbholz I; vgl. HRG-RSW: Kerbholz].
Die sprichwörtliche Redensart etw. auf dem/am Kerbholz haben führt auf die – wie archäologische Funde bestätigen – seit schriftloser Zeit gängige Praxis des Festhaltens von Schulden, einer vertraglichen Vereinbarung oder von diversen Leistungen wie einer Warenzustellung auf einem Holzstück zurück. Um zu garantieren, dass zwei Hölzer von bspw. Gläubiger und Schuldner zusammengehören, konnte das Holz längsgespalten sein und erst über das erneute Zusammenfügen die eingeritzten, eingebrannten oder aufgemalten graphischen Zeichen oder Symbole auf sinnhafte Weise preisgeben. Im ausgehenden Mittelalter war die carta partita, eine ‚Holzurkunde‘, die verbindliche Verträge verzeichnete, in der Form von zwei zusammengehörigen verzahnten Kerbhölzern gestaltet. Ab dem 6. Jh. ist die Verwendung von Kerbhölzern in Rechtstexten wie der Lex Salica nachweisbar. [Vgl. ROE: Kerbholz; vgl. LDR: Kerbholz; vgl. DUR: Kerbholz; vgl. HRG-RSW: Kerbholz]. Die Praxis des Kerbholzes habe sich bis ins 18. [DUR: Kerbholz] oder 19. Jh. [ROE: Kerbholz] erhalten.
Analog zu den am Kerbholz nachweisbar verzeichneten Schulden wird mittels der Wendung etw. auf dem/am Kerbholz haben im metaphorischen Sinne zum Ausdruck gebracht, dass auf jemandem bereits Schulden in Form von Straftaten, Verbrechen oder verwerflichen Handlungen lasten. [GG] - Entstehungszeit: um 1700 [KUE I: Kerbholz] - 

Realienkundliches: Die Schlettstadter Stadtrechte verzeichnen für das Jahr 1501 u. a., dass der Kirchwart Lorenz von Bußwiler einen Eid abgelegt hat, der ihn dazu verpflichtete, die durch den Kaplan abgehaltenen Messen auf einem Kerbholz mit zu dokumentieren:

D. Des kilwarts eidt zu Bruner.
Der kilwart zu Bruner sol schweren, der kilchen und der jhenen, so darzu gehort, es sig von gezierde oder anderm getruwlich zu verhuten und zu jeder zitt gehorsam zu sinde, und wann das nott bedunckt sin gegen dem wetter zu lutten und die opffer, so den heiligen oder der kilchen gefallent, dem schaffner zu verantwurten und im selbs dovon nit zu nemmen nach zu behalten; und ob er sehe oder gewar wurde jemans an der kilchen oder an dem, das darzuͤ gehoͤrt, schaden thuͤn oder geton haben, das einem statmeister furderlich zu verkunden und darin nyeman zu ubersehen, alles ungevarlich.
Lorenz von Bußwiler der kilwart hat geschworen 3a post Letare anno XVc primo, und ist im in sinen eidt ingebunden, das er alle messen, so durch den capplan gelesen, an ein kerbholtz schniden und die eins jeden jars eim statmeister ubergeben solle zu der zit, wan sant Zimphrians schaffner sin rechnung duͤt. 1501 März 23.
Item fritag ipsa Vincentii anno VII ist Lorentz aber besant und im by sinem eide bevolhen, die messen eigentlich anzuschniden. 1507 Januar 22.
Aus Eidbuch I 94. [Gény 1902, S. 734]

Diatopik: österreichisch (etw. am Kerbholz haben) [DUR: Kerbholz] - Diastratik: umgangssprachlich [LDR: Kerbholz] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart; pejorativ - Allgemeiner Gebrauchskontext: meist krimineller-polizeilicher Kontext - Interlingual Kompatibles: engl.: to have blotted one's copybook [PONS]; frz.: ne pas avoir les mains blanches [PONS]; ital.: avere un conto (od debito) da saldare [PONS]; nl.: iets op zijn kerfstok hebben [PONS]; tschech.: mít nĕjaký vroubek [PONS]

 

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