Nadeln
Nadeln: (wie) auf Nadeln sitzen
Umschreibung: sehr ungeduldig und unruhig dasitzen [LDR: Nadeln]; mit quälender Ungeduld warten [eWDG: Nadel]
Analyse der Bedeutung: Das feminine Substantiv Nadel basiert auf der ie. Wurzel *(s)nē- (‚Fäden zusammendrehen, mit dem Faden hantieren, weben, spinnen, nähen‘) und bezog sich vorerst nur auf die ‚Nähnadel‘, bis es später auch auf ‚nadelförmige Geräte und Geräteteile‘ referierte. Die Formen lauten im Ahd. nādala oder nālda (9. Jh.), im Mhd. nādel, nādele, nālde, im Nhd. Nadel oder auch Nolde, im Asächs. nāðla, im Mnd. nātel und nālde, im Mnl. naelde, im Nl. naald, im Afries. nēdle sowie nēlde, im Aengl. nǣdl, im Engl. needle, im Anord. nāl, im Schwed. nål, und im Got. schließlich nēþla (germ. *nēþlō-). [Vgl. WPE: Nadel].
Die metaphorische Wendung auf Nadeln sitzen bzw. der bildliche Vergleich wie auf Nadeln sitzen lässt sich sowohl auf die mittelalterlichen Gottesurteile als auch auf die Folterpraxis zurückführen. Hinsichtlich der ersten Herleitungsoption wäre die beklagte Person angewiesen worden, über ein Nagelbrett zu schreiten, um ihre Unschuld unter Beweis zu stellen. [Vgl. ROE: Nadel]. Die Brüder Grimm bringen den bildlichen Gebrauch mit dem Eintrag auf heiszen kohlen gehen, sitzen in Verbindung und verweisen in ihren Rechtsalterthümern auf eine gängige Form der Feuerstrafe: „tinsen (ziehen) bî dem hâre durch daʒ kol lieders“ [DWB1: kohle]. [Vgl. DWB1: nadeln; vgl. DWB1: kohle]. Nadeln waren darüber hinaus im Hexenprozess insofern relevant, als die Person bei Unempfindlichkeit gegenüber den Stichen als Hexe entlarvt galt. [Vgl. DRW-WA: Nadel I 2]. Unter Anknüpfung an das bei Röhrich genannte ‚Nagelbrett‘ bzw. ‚Nagelbett‘ lässt sich ein solches als verwendetes Folterinstrument belegen. [Vgl. DRW-WA: Nagelbett].
Eine ältere Variante der figurativen Wendung lautet über Nadeln gehen [vgl. DWB1: Nadel], wodurch der Bezug zum Nagelbrett hergestellt werden könnte. Sitzt man im metaphorischen Sinne wie auf Nadeln, befindet man sich in einem äußerst unruhigen Zustand der Erwartung von etwas oder jemanden. Das realhistorische Bild der im Rahmen der Folter über ein Nagelbrett schreitenden Person motiviert dabei die Unaushaltbarkeit, die im übertragenen Sinne vor allem psychischer und nicht mehr physischer Ursache ist. [GG] -
Realienkundliches: Innerhalb des Codex Austriacus, hrsg. von Frantz Antoni Edler Herr von Guarient im Jahr 1704, existiert ein am 8. Oktober 1679 verfasster Eintrag unter dem Titel ‚Hexenprozess‘, der u. a. die Abschaffung des Nagelbettes, das als Instrumenta Torturae ausgewiesen wird, fordert:
Hexen⸗Proceſs.
[…] Seye demnach Ihrer Kayſerlichen Majeſtaͤt gnaͤdigſter Befehl /daſz von Ihrer Kayſerlichen Majeſtaͤt wegen Sie Regierung ſolches unternehmen / gegen dem Herrn N. anten / und denſelben mit Ernſt dahin anweiſen ſolle: daſz er forthin in dergleichen ſchwaͤren Criminibus, ſonderlich im Laſter der Hererey / alle ſchoͤpffende Bey⸗ und End⸗Urtheil zu der N. O. Regierung zum Erſehen einſenden / derſelben daruͤber auſzfallenden Verordnung unfehlbarlich nachleben / ſonſten auch keine neue / und in Oeſterreich ungewoͤhnliche Genera und Inſtrumenta Torturæ einfuͤhren / weniger ſich deren gebrauchen / noch das in der Land⸗Gerichts Ordnung vorgeſchriebene Ziel / Maſz und Zeit / in deren Anlegung uͤberſchreiten / auch zu ſolchem Ende das ſo genante Nagel⸗Bett alſobalden abſchaffen […] [von Guarient und Raall 1704, S. 475]
Diastratik: umgangssprachlich [LDR: Nadeln] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Interlingual Kompatibles: dän.: sidde som på nåle [PONS]; engl.: to be on pins and needles [dict.cc]; ital.: essere (o stare) sulle spine [PONS] - Figuriertheit: Vergleich (wie auf Nadeln sitzen); Hyperbel; Drastik - Querverweis: ↑(wie) auf glühenden/heißen Kohlen sitzen
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