Ohr
Ohr: sich etw. hinter die Ohren schreiben
Umschreibung: sich etw. nachdrücklich merken [LDR: Ohr]
Analyse der Bedeutung: Das Neutrum ‚Ohr‘, womit das ‚Hörorgan von Menschen und Wirbeltieren‘ bezeichnet wird, wird im Ahd. und Asächs. als ōra, im mhd. als ōr(e), im mnd. als ōr, im Aengl. als ēare, im Anord. als eyra, im Got. als ausō im Mnl. als óre, im Nl. durch die Form oor, im Engl. durch ear und im Schwed. durch öra realisiert. Als Ausgangspunkt aller angeführten Formen gilt germ. *auzan-. Über die außergermanischen Verbindungen mit awest. uši, griech. ū́s (οὖς aus *οὖσος), dor. ṓs, lat. auris, air. āu und ō, lit. ausìs, aslaw. ucho, russ. úcho (ухо) kann auf ie. *ōus-, *əus-, *us- (‚Ohr’) geschlossen werden.
Mit Bezug auf den Gott Odin versinnbildlicht das Ohr das Denkvermögen sowie den Prozess des Erinnerns. Die sprichwörtliche Redensart sich etw. hinter die Ohren schreiben vereint über die akustische (Ohr) und schriftliche (schreiben) Metapher zwei Varianten, die sich auf das Gedächtnis beziehen. Darauf aufbauend entwickelte sich ein Rechtsbrauch, der sich bereits innerhalb ripuarischer Rechtstexte finden lässt und im bayerischen und schwäbischen Raum erst ab dem 19. Jh. verblasste: Bei der Besiegelung von Verträgen, Finden eines Schatzes oder der Vereinbarung von Grundstücks-/ oder Landesgrenzen wurden den Zeugen – meist handelte es sich um Knaben – Ohrfeigen erteilt oder in die Ohren gekniffen, mit dem Ziel, dass sich das Abgemachte, vom Schmerz veranlasst, in deren Gedächtnis einbrannte. Bei den Römern wurde das Zupfen des Ohres aus anmahnenden Gründen heraus an den bezeugenden Personen im Gericht praktiziert. [Vgl. ROE: Ohr; vgl. LDR: Ohr; vgl. GRA I, S. 199, 201].
Aus der rechtlichen Tradition des Ohrenzupfens oder der Ohrfeige hat sich die Idee des Erinnerns und Merkens in der vorliegenden Redensart im bildlichen Sinne erhalten. [GG] - Entstehungszeit: 17. Jh. [KUE I: Ohr] -
Realienkundliches: Jacob Grimm vermerkt innerhalb seiner Rechtsalterthümer eine Textstelle aus der Lex Ripuaria, die das Zufügen von Schmerzen an den Ohren von Knaben nennt, um rechtlich relevante Abmachungen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:
ſi quis villam aut vineam vel quamlibet poſſeſſiunculam ab alio comparaverit et teſtamentum accipere non potuerit, ſi mediocris res eſt, cum ſex teſtibus et ſi parva cum tribus, quodſi magna cum duodecim ad locum traditionis cum totidem numero pueris accedat, et ſic praeſentibus eis pretium tradat et poſſeſſionem accipiat et unicuique de parvulis alapas donet et torqueat auriculas, ut ei in poſtmodum teſtimonium praebeant. [nach GRA I, S. 199]
Diastratik: umgangssprachlich [DUR: Ohr] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Interlingual Kompatibles: dän.: skrive sig noget bag øret [PONS]; ital.: legarsela al dito [PONS]; kroat.: zapisati za uho [PONS]; nl.: iets in het oor [o. in de oren] knopen [PONS]; slowen.: zapísati si kaj za uho [PONS]; tschech.: co za uši [PONS] - Figuriertheit: Komik
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