peinlich
peinlich: (jmdm./etw.) (eine) peinliche Frage/peinliche Fragen (stellen)
Umschreibung: eine unangenehme, beschämende Frage an jmdn. richten [GG]
Analyse der Bedeutung: Das feminine Substantiv ‚Pein‘ im Sinne von ‚Strafe, Qual, Schmerz‘ stellt eine entlehnte Form aus mlat. pena (‚Strafe, Buße, Höllenqual, Folter, Mühe, Schwierigkeit‘), lat. poena sowie griech. poinḗ bzw. ποινή (‚Sühne, Strafe, Rache’), wobei an die Stelle des vlat. ē ahd. ī tritt: pīna. Die Bedeutungen von ‚Mühseligkeit‘, ‚Drangsal‘, ‚Marter‘ und ‚Not‘ werden dementsprechend im Mhd. und Mnd. mittels pīne sowie pīn realisiert. Das Adjektiv ‚peinlich‘ (‚qualvoll, schmerzlich, unangenehm, beschämend‘) stammt aus der Gerichtssprache und bedeutete ursprünglich ‚mit Folterschmerzen verbunden‘. Die mhd. Form pīnlich drückt bereits ‘schmerzlich, quälend, grausam, straffällig, strafwürdig’ aus. Im 16. Jh. wurde durch eine ‚peinliche Frage‘ oder auch ‚peinliche Befragung‘ im wortwörtlichen Sinne auf die ‚Befragung unter Anwendung‘ resp. ‚Androhung der Folter‘ referiert. [Vgl. WPE: Pein]. Im selben Jahrhundert weist das Adjektiv bereits parallel die Bedeutungen ‚innerliche Unruhe, Verlegenheit bereitend, innerlich quälend, voller Eifer‘ auf [vgl. WPE: Pein], wie sie auch für die bildhafte Redewendung (jmdm./etw.) eine peinliche Frage (stellen) von zentraler Bedeutung sind [GG]. Mitte des 18. Jhs. erweitert sich über ‚gewissenhaft, übertrieben sorgfältig‘ das Bedeutungsspektrum erneut. [Vgl. WPE: Pein].
Die metaphorische Wendung (jmdm./etw.) eine peinliche Frage (stellen) lässt sich folglich auf die rechtliche Folterpraxis des 16. Jhs. zurückführen, wo unter Zuhilfenahme von diversen Utensilien graduell gefoltert wurde, um ein Geständnis zu erpressen. Innerhalb des Corpus Iuris Civilis lautet die lat. Entsprechung quaestio, was sich anhand der Einträge unter dem Abschnitt De quaestionibus innerhalb der Digesten [Mommsen/Krüger 1889, 48.18.0; 48.18.1–48.18.22] nachweisen lässt. [GG]
Aus dem realhistorischen Bild der folternden Person, die während der Tortur die Delinquentin/den Delinquenten streng und repetitiv befragt, wurde die metaphorische Wendung übertragen, um auszudrücken, dass man an sein Gegenüber eine Frage richtet, die für die betreffende Person besonders unangenehm oder gar beschämend ist. [GG] - Entstehungszeit: 16. Jh. [WPE: peinlich] -
Realienkundliches: Friedrich Esaias Pufendorf (1707–1785) hielt in seiner Observationes juris universi den untenstehenden Eintrag zur ‚peinlichen Befragung‘ fest. Erst nachdem über andere Wege versucht wurde, ein Geständnis zu erwirken, wurde bei Erfolglosigkeit auf die Folter zurückgegriffen. In welchem Ausmaß die peinlichen Fragen zu stellen waren, wurde unter Zuhilfenahme von diversen Rechtsbüchern wie der Peinlichen Halsgerichtsordnung eruiert. Während der ‚peinlichen Befragung‘ waren neben dem Bürgermeister und dem Gerichtsschreiber auch die Gerichtsbefehlshaber bei Bedarf anwesend:
Von Peinlichen fragen.
Welcher maſſen bey den eingezogen gefangenn in und mit Peinlicher ſcherffer frage zu verfahren, werden die Gerichtsbefelhaber auſz der Kayſerlichen Peinlichen Halſzgerichts Ordnung und mehr anderer Rechtsgelahrten Buͤchern, Rath anweiſung und belehrung erſchepffen, und doch vor erſt allen muͤglichen fleiſz anwenden. Ob die warheit von Jhme den gefangenen ohne daſz mit erzehlung und anzeigung, alle umbſtende ergangener geſchichten durch vorſtellung etzlicher Zeichen und gleich mahle. Jtem der Jenigen ſo beſchediget oder andere ſeines umb die Dinge bewuſt, Jtem durch Bedrawung mit ſcherffer frage erkůndet und erlanget werden moͤgte, Und ſollen die Gerichtsbefelhabere allemahl, wen es die notturfft erheiſchet, neben dem Burmeiſter Gerichtſchreiber Perſoͤhnlich gegenwertig ſein, bey den Peinlichen ſcharffen fragen, und dan auſz vielen bewegenden urſachen unnoͤtig alhie anzuziehende. [von Pufendorf 1782, S. 386f.]
Semantische Prozesse: phraseologisiert - Figuriertheit: Hyperbel
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