überführen
überführen: jmdn. überführen / überführt werden
Umschreibung: jmdm. eine Schuld, eine Verfehlung, ein Verbrechen o. Ä. nachweisen [DUO: überführen; vgl. eWDG: überführen]
Analyse der Bedeutung: Die metaphorische Wendung jmdn. überführen lässt sich auf die ‚Bahrprobe‘ des Mittelalters zurückführen, die als eine der Methoden der Gottesurteile praktiziert wurde, um einem vermeintlichen Mörder/einer vermeintlichen Mörderin seine/ihre Tat nachzuweisen. Dazu wurde der/die Beklagte, entweder in Leinenwand gehüllt oder gänzlich entkleidet, zunächst an die aufgebahrte Leiche herangeführt, um unter Berühren oder Küssen der tödlichen Wunden einen Schwur, der die Unschuld bekräftigen sollte, zu leisten. Der Beweis der Schuld wurde durch körperliche Auffälligkeiten wie das erneute Bluten der Wunden durch die Getötete oder den Getöteten signalisiert. Dabei existiert die Annahme, dass nicht die Seele des oder der Verstorbenen dies bewirkt, sondern Gott durch den Körper ein Zeichen sendet. Die Bahrprobe fand bis ins 17. Jh. bei Fällen von Mord und Totschlag Verwendung, bis die Aufklärung ihr endgültig den Status einer rechtmäßigen juristischen Methodik der Beweisführung aberkannte. [Vgl. Karner 2010, 27–29; vgl. Wagner 2015, 47].
Analog zum historischen Kontext, wo die/der Beschuldigte an die Bahre heran und schließlich vorbeigeführt worden war, um die Wahrheit über die vermeintliche Täterschaft herauszufinden, wird im metaphorischen Sinne versucht, eine Person einer Tat zu überführen. [GG] - Entstehungszeit: 17. Jh. [DWB1: überführen] -
Realienkundliches: Das älteste deutschsprachige literarische Fallbeispiel, das die Kenntnis um die Bahrprobe belegt, stellt das Nibelungenlied dar, wo Hagen aufgrund des Blutens der Wunden als Siegfrieds Mörder gekennzeichnet wird:
Si buten vaste ir lougen. Kriemhilt begonde jehen:
»swelher sî unschuldige, der lâze daz gesehen.
der sol zuo der bâre vor den liuten gên.
dâ bî mac man di wârheit harte schiere verstên.«
Daz ist ein michel wunder, vil dicke ez noch
geschiht:
swâ man den mortmeilen bî dem tôten siht,
sô bluotent im di wunden, als ouch dâ geschach.
dâ von man di schulde dâ ze Hagene gesach.
[Schulze 2011: Nibelungen, 1040–1041]
Den zweitältesten Beleg liefert Iwein des Hartmanns von Aue:
Nû ist uns ein dinch geseit
vil diche fur die wârheit:
swer den andern habe erslagen,
und wuorder zuo im getragen,
swie lange er dâ vor wuorde wunt,
er begunde bluoten an der stunt.
nû seht, alsô begunden
im bluoten sîne wunden,
dô man in in den palas truoc,
wan er was bî im, der in dâ sluoc.
[Krohn 2012: Iwein, 1355–1364]
Wie der Erzähler bereits verrät, beginnen die Wunden des toten Askalons zu bluten, während die Bahre mit dem Leichnam an Iwein, der sich mithilfe eines Rings unsichtbar gemacht hat, vorbeigetragen wird.
Von der Rechtsrealität weicht der Beleg insofern ab, als es sich um keine formale Prüfung und kein ‚berufenes‘ Gottesurteil, sondern ein ‚unberufenes‘ Gottesurteil handelt. Zusätzlich dazu fehlt jeglicher gerichtliche Kontext, weshalb vom Ordal als juristischem Beweismittel abgesehen werden muss. Das Zeichen wird in Form eines Wunders erteilt, mit dem kein Beteiligter/keine Beteiligte rechnet [vgl. auch Karner 2010, 43–46]. Das Fehlen des körperlichen Kontakts mit dem Toten könnte vom sog. ‚Scheingehen‘ motiviert worden sein, wobei ein Körperteil des Leichnams aufgehängt wurde, um den vorbeischreitenden Mörder durch Bluten zu identifizieren [vgl. MGKL: Bahrrecht]. [GG]
Rechtliches Prozedere der Bahrprobe, genannt im Freisinger Rechtsbuch des 13./14. Jhs.:
der das gerichtt tuet, der sol dreystund auf sein parn knyen vmb die par gen vnnd sol den todtnn küssnn vnnd sol jn nennen vnd sol dy wort sprechnn "ich zeug es an got den herrnn vnnd an dich das ich an deinem tod vnschuldig pin". als er das dreystund tuet, habnn sich dy wundenn nicht verkert, so ist er ledig von den fründtenn, (oJ. Ruprecht II 112 S. 364) [DRW-WA: Bahre]
Allgemeiner Gebrauchskontext: im Alltagsbereich, auch aber noch insbesondere im gerichtlichen, kriminalistischen, polizeilichen Kontext zu beobachten - Figuriertheit: Hyperbel (wenn alltagssprachlich gebraucht)
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