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anhängen

anhängen: jmdm. etw. anhängen / sich etw. (nicht) anhängen lassen

Umschreibung: jmdm. etwas (Übles) zuschreiben, aufbürden, in die Schuhe schieben [DUO: anhängen] / sich nicht mit etwas Negativem oder Üblem in Verbindung bringen lassen [GG]

Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie von ‚hängen‘ siehe den Eintrag ↑jmdn. hängen sehen wollen.
Die metaphorische Wendung jmdm. etw. anhängen / sich etw. (nicht) anhängen lassen leitet sich aus den mittelalterlichen Ehrenstrafen ab, wobei einer delinquenten Person unter verschiedenen Umständen differente Objekte um- oder angehängt wurden, um diese vor den Augen der Bevölkerung öffentlich anzuprangern und zu strafen. [Vgl. ROE: anhängen; vgl. LDR: anhängen]. Die Strafe manifestiert sich einerseits in einem Zettel, einer Tafel oder einem Stück Blech, der bzw. die oder das an der schuldigen Person am Pranger angebracht wurde und das Vergehen nannte. Andererseits konnte über die ‚Strafe des Steintragens‘, die insbesondere bei Frauen Anwendung fand, angeordnet werden, dass z. B. bei Gotteslästerei oder Schmähung verschieden geformte steinerne Strafinstrumente um bzw. an den Hals der/des Schuldigen gehängt werden sollten. Rechtsquellen zufolge weisen diese eine Vielzahl an Bezeichnungen auf wie z. B. älter lapides, lapides cantenati, lapides per cathenam cohaerentes, lapides ad hoc deputati, jünger pagstein, pukstein, klapperstein, krötenstein, schandstein, kakstein, ehebrecherstein und zentnerstein. Die Benennungen orientieren sich erstens an der jeweiligen Untat wie Pag-, Laster-, Puk-, Klapper-, Kröten-, Ehebrecher- und Schandstein beweisen, zweitens an dem Ort der Aufbewahrung (kakstein, wobei Kake ‚Pranger‘ bedeutet) oder drittens am Gewicht (zentnerstein). [Vgl. ROE: anhängen; vgl. Künßberg 1907, S. 5f.]. Das veraltete Verbum ‚bagen‘ referierte auf ‚(laut) klagen, mit jmdm. (laut) streiten, kämpfen‘ [DWB2: bagen] und motivierte, nachdem es veraltet und nicht mehr verwendet wurde, die Bezeichnungen ‚Bach-, Poch-, Pock-/Pok-, Wag-, Weg- oder Borgstein‘ [vgl. Künßberg 1907, S. 5–9]. Auf das Lästern bezieht sich der Name ‚Lasterstein‘, womit nicht nur der Stein, sondern auch der Pranger betitelt wurde, mittels ‚Pukstein‘ wird auf das Vergehen des Schlagens (‚puken‘, ‚Puk‘) Bezug genommen, ‚Klapperstein‘ verweist auf die schändliche Tat des ‚Klapperns‘ (Plauderns, Schwätzens), ‚Krötenstein‘ referiert über kreten auf das Zanken bzw. Streiten und ‚Schandstein‘ lässt sich schließlich entweder mit der Schmähung bzw. Schändung oder mit der Schande verbinden. Die lat. Bezeichnungen lapis vituperii, lapis famosus sowie lapis scandali stellen lat. Entsprechungen zu ‚Laster-‘ sowie ‚Schandstein‘ dar. Lapides publici seu civitatis, stad stene, haderstein, rätschstein, zankstein, backstein, strafstein und bussstein sind als weitere Varianten anzuführen. Darüber hinaus sind im Französischen die Benennungen la pierre, la pierre des mauvaises langues und la pierre de scandale für das Strafinstrument überliefert. [Vgl. Künßberg 1907, S. 9–12]. Bei Trunksucht wurden solche in Form einer Flasche umgehängt. Neben den steinernen konnten die Instrumente auch aus Holz gefertigt sein. Hinsichtlich des Strafvollzugs war es die Aufgabe des Büttels, des Gerichtsdieners, der delinquenten Person den Stein umzuhängen. U. a. unter neckischen Zurufen, Lärm und Bewurf wie bspw. durch Eier musste die/der Beklagte einen vorgeschriebenen Weg absolvieren. Wurden zwei sich miteinander im Zank befindliche Personen verurteilt, hatten diese jeweils eine eigene Strecke zu meistern und mussten sich zuletzt am Pranger begegnen, um so das Wiederauskommen miteinander auf symbolischem Wege zu besiegeln. Die ‚Strafe des Steintragens‘ gelangte über das fränkische Reich in den deutschsprachigen Raum, wobei innerhalb von Österreich insbesondere in Niederösterreich diese spezielle Strafform nachgewiesen werden kann. Vielerorts ersetzten entweder das Büßerhemd oder die Fiedel als Strafinstrumente den Stein. [Vgl. Künßberg 1907, S. 2, 12f., 24, 28, 32].
Die bildhafte Wendung jmdm. etw. anhängen / sich etw. (nicht) anhängen lassen meint im übertragenen Sinne, dass jemand einer anderen Person (fälschlicherweise) etwas Negatives zuschreibt. Der Büttel, der im Rahmen der verordneten Ehrenstrafe an der schuldigen Person den Stein fixierte, fungiert dabei als Bildspender. [GG] - Entstehungszeit: um 1700 [KUE I: anhängen] - 

Realienkundliches: Die Sammlung der Verordnungen für das Königreich Hannover aus der Zeit vor dem Jahre 1813 beinhaltet u. a. einen Eintrag vom 30. April 1683, der die ‚Hurerei‘ bzw. ‚Unzucht‘ anprangert. Die Bürgermeister und der sog. Sammt-Rath von Hildesheim appellieren an die christliche Besinnung der Bevölkerung und legen Strafverschärfungen bei den genannten Vergehen fest, die sich in einer Freiheits- und Prangerstrafe, dem Tragen eines Strohkranzes, dem Umhängen von Schandsteinen und einer Verweisung manifestieren. Vordergründig ist dabei der Abschreckungsgedanke, womit eine präventive Wirkung erzielt werden soll:

Statutum in puncto sponsaliorum, vom 30. April 1683
Wir Burgermeiſter und Sammt⸗Rath der Stadt Hildesheim fügen Unſeren Bürgern und Bürgerskindern, auch allen und jeden, ſo unter Uns ihren Enthalt, und deshalb ſich nach Uns zu richten haben, hiemit zu wiſſen. Ob Wir wohl der guten Zuverſicht gelebet, es würde ein Jeder, bey dieſen faſt ſehr betrübten Zeiten, von ſelbſten eines züchtigen Wandels und ehrbarer chriſtlicher Bezeigung ſich befleiſzigen, und ſo lange nicht warten, bis die vorgeſetzte Obrigkeit mit ernſtlicher Beſtrafung ſich ihres Amts zu gebrauchen genöthiget würde: bevorab, da in öffentlichen Predigten ein Jedweder zu chriſtlicher Beſſerung, Zucht und Ehrbarkeit mit ſo beſtändigem Ernſt treu väterlich vermahnet wird: daſz Wir dennoch mit ſonderbarem Unmuth faſt täglich vernehmen müſſen, daſz dem zuwider, unter anderen groben Sünden, die Hurerey und allerhand Unzucht leider! nun ſo gemein werde, daſz viele dieſelbe faſt für keine Sünde mehr, auch die darauf geſetzte Strafe wenig achten, auch von auſſen vieles leichtfertiges Weibesvolk hereindringet: andere aber unter dem Schein beſchehener Eheverſprechniſz ſich in ſchändlicher Brunft, gleich der Sau im Koth, zumal ärgerlich wälzen, und dennoch all ſolche ohnedem zu Recht verbotene Winkelehen im geringſten nicht erweislich machen mögen. Wann Wir aber Amts und Gerichts halber, ſolchen unordentlich epikuriſch⸗ und ärgerlichem Leben und Wandel zuzuſehen im geringſten nicht gemeinet ſeyn.
Demnach gebieten Wir allen und jeden, wie obſtehet, ernſtlich und wollen, daſz ſie eines ehrbaren Wandels und chriſtlicher Zucht ſich befleiſſigen und des ſchändlichen Laſters der Hurerey gänglich enthalten ſollen. Geſtalt dann nun hinführo die Kontravenienten ſchärfer beſtrafet, und, nach Gelegenheit der begangenen Unzucht, mit Gefängniſz, Stellung an den Pranger, Aufſetzung eines Strohkranzes, Anhängung der Schand⸗Steine und zeitlicher Verweiſung belegt, auch im Uebrigen die angebende Ehe⸗Verſprechniſſe, obgleich die fleiſchliche Vermiſchung darzu kommen wäre, zum wenigſten mit zwey Zeugen erwieſen werden, und ſonſt nachdrücklicher Anweiſung der von Uns Anno 1653 wegen heimlicher Verlöbniſz zum offenen Druck beförderten Konſtitution vollzogen ſeyn; anderer Geſtalt aber nicht allein ipso facto unverbindlich und nichtig, ſondern auch alle ſolche unzüchtige Vermiſchung, gleich anderer Hurerey, obbeſchriebenermaaſſen, dergeſtalt exemplariſch beſtraft werden ſollen, daſz die Verbrecher es ſchmerzlich empfinden, auch andere davon ein lebendiges Exempel und Beiſpiel haben ſollen. Urkundlich haben wir dieſes Ediktum mit Unſerm Stadt⸗Signet zu bedrucken und darnach in Unſerm geiſtlichen Konſiſtorio ſich zu richten befohlen, auch zu Männigliches Wiſſenſchaft öffentlich von den Kanzeln verleſen laſſen. Konſultum Hildesheim in Curia den 30ſten April 1683. [Ebhardt 1854, S. 22f.]

Das Strafinstrument setzt sich aus einem oder zwei Steinen zusammen, die über eine Kette oder einen Bügel verbunden sind. Mittels einer Kette oder eines Riemens konnte der Lasterstein der ‚ehrlosen Person‘ an den Hals gehängt werden. Eine andere Form der Befestigung wurde durch ein Tuch erzielt, wobei das Instrument in diesem über dem Rücken oder auf dem Kopf getragen werden musste. Im Hinblick auf ihr Gewicht waren die Strafsteine gewichtähnlich, wobei Rechtsquellen eine Spannweite zwischen 25 und 180 Pfund belegen. Neben der Bestrafung war auch der Aufbewahrungsort öffentlich und für die Bevölkerung sichtbar: Die Steine waren entweder direkt am Pranger befestigt oder an öffentlichen Gebäuden wie dem Gerichtshaus, Rathaus, der Schranne, Arbeitermietstätte, dem Wohnhaus des Richters, dem Wirtshaus, Weinkeller, der Mühle, Kirche oder dem Kloster. Bereits durch die tägliche optische Konfrontation mit dem Strafwerkzeug wurde versucht, ein Mahnmal zu setzen und folglich präventiv zu wirken. [Vgl. Künßberg 1907, S. 1–5].

Diastratik: umgangssprachlich [DUO] - Interlingual Kompatibles: engl. : to pin the blame for sth on sb [PONS]; frz.: coller à la peau de qn [PONS]; slowak.: prišiť niekomu za golier [PONS]; span.: colgar (el sambenito de) algo a alguien [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel - Querverweis: an jmdm. etw. aufhängen; ↑jmdm. etw./die Schuld in die Schuhe schieben / etw./die Schuld in die Schuhe geschoben bekommen

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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