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Bissen

Bissen: jmdm. bleibt der Bissen im Hals stecken

Umschreibung: jmd. erschrickt sehr [DUO: Bissen]; jmd. ist verblüfft [vgl. eWDG: Bissen]; jmd. ist gelähmt vor Entsetzen [vgl. ROE: Bissen]

Analyse der Bedeutung: Das Wort ‚Bissen‘ entsteht wie ‚Beißen‘, ‚Biss‘ oder ‚Brocken‘ im 9./10. Jh. und lautet im Mhd. biʒʒe, im Mnd. bēte, im Nl. beet (‚Biss, Bissen’), im Aengl. bita. ‚Bissen‘, im Engl. bit, im Anord. biti und im Schwed. beta. In der Bedeutung von ‚was man auf einmal abbeißen und in den Mund stecken kann‘, ‚Happen‘ oder ‚kleine Mahlzeit‘ ist ‚Bissen‘ anhand der ahd. Form biʒʒo (‚abgebissenes Stück, Bissen, Klumpen, Brocken’) im 9. Jh. belegbar. [Vgl. WPE: Bissen].
Grundsätzlich ist der Bissen, gerade im Kontext mit Vorzeichen, sowohl positiv als auch negativ behaftet: Ersteres wird bspw. anhand von ‚Ehrenbissen‘ deutlich, die aufgrund von besonderen Verdiensten ausgegeben wurden. Die heute noch geläufige Redensart jmdm. die besten Bissen zustecken/zuschieben (‚jmdm. Vorteile verschaffen‘) spielt auf den arabischen Brauch an, den Gästen die besten Bissen vorzusetzen. Letzteres zeigt sich im jüdischen Volksglauben, wo die Befürchtung besteht, dass durch Sprechen während des Essens die Nahrung in die Luftröhre und somit ‚die falsche Kehle‘ geraten könnte. Ebenfalls auf einen Volksglauben geht die Erklärung des Adamsapfels zurück, wobei Adam im buchstäblichen Sinne der Bissen im Hals stecken bleibt, als er die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis verzehren will. [Vgl. ROE: Bissen].
Die Redensart jmdm. bleibt der Bissen im Hals stecken leitet sich aus der sog. ‚Bissenprobe‘, einer Form des Gottesurteils ab, wobei die/der Beschuldigte ein trockenes Stück Käse oder Brot, das nach altgermanischem Recht zuvor mit Zaubersprüchen geweiht worden war, schlucken musste, um ihre/seine Unschuld zu beweisen. Im christlichen Europa des Mittelalters entwickelte sich daraus die sog. ‚Abendmahlsprobe‘, im Zuge derer eine geweihte Hostie als Leib und Blut Gottes ohne Flüssigkeit geschluckt werden musste. Gelang dies nicht problemlos, so war die/der Beklagte für schuldig gesprochen und starb im schlimmsten Fall an Atemnot. Die Bissenprobe als Form des Gottesurteils wurde nachweislich bis ins 14. Jh. praktiziert. [Vgl. LDR: Hals; vgl. ROE: Bissen; vgl. Hilse 1867, S. 13].
Die Verwünschung der Bissen möge ihm/ihr im Halse stecken bleiben respektive die Beteuerungsformel es soll mir der Bissen im Munde stecken bleiben oder auch die weiteren Phraseologismen an einem schlechten Bissen kauen (‚mit einer üblen Sache zu tun haben‘), den Bissen schlucken (‚das Unangenehme hinnehmen‘), der Bissen quillt jmdm. im Halse (‚eine Sache wird für jmdn. immer unangenehmer‘) beziehen sich als weniger geläufige Beispiele auf die besagte Form des Gottesurteils. [Vgl. ROE: Bissen; vgl. DSL: Bissen].
Bildlich im Halse stecken bleiben können einem neben dem Bissen z. B. auch Wörter bzw. die Worte oder das Lachen, wo der Bezug zum Gottesurteil nicht mehr explizit gegeben ist. [GG] Nach Essig ließe sich etw. im Hals stecken bleiben analog zu einen Frosch/Kloß im Hals haben auf psychische sowie physische Vorgänge zurückführen. Nervosität wirke sich folglich fördernd auf die Schleimproduktion und die Durchblutung aus, wodurch das Gefühl eines Kloßes und ein Engeempfinden im Hals entstehen, was bei dem/der unter Anspannung stehenden Sprecher/-in dazu führen könne, dass die Worte nicht mehr artikuliert werden können. [Essig 2020, S. 84]
Die negativen Emotionen der Furcht, des Erschreckens oder des inneren Gelähmtseins, die im übertragenen Verständnis mit der Wendung jmdm. bleibt der Bissen im Hals stecken einhergehen, lassen sich auf die drohende Gefahr des steckenbleibenden Happens zurückführen, was im realienkundlichen Abschnitt explizit genannt wird. [GG] - 

Realienkundliches: Im Rahmen der Hexenprozesse galt es ‚reinen Mund zu halten‘, um die eigene Unschuld beweisen zu können und unversehrt zu bleiben:

das der beklagt, wann er an der folter ein kleines vbermacht ein sauren bissen kan schlucken, vnnd reinen mund halten, darauff gar ledig gelassen wirdt (1591 Fischart, Daem. 230b) [DRW-WA: Mund II 2k]

Der geweihte Bissen kommt bspw. bei den Angelsachsen in Form eines Stücks Brot oder Käse im gerichtlichen Verfahren zum Einsatz, um einen Schuldigen zu identifizieren. Zusätzlich sind die Auswirkungen des Steckenbleibens in Form von Erzittern, Blass- und Wackelig-Werden genannt, die für die negative Konnotation der metaphorischen Wendung verantwortlich sind:

bei den angelsachsen war im gebrauche, daß die angeschuldigten sich ... durch einen beschwornen schnitt vom brode oder kaͤse von dem inculpirten verbrechen reinigten ... es wurde ... von dem priester gott angerufen, wenn der beschuldigte unrecht wuͤrde geschworen ... haben, daß ihm ... bei der nehmung des brods oder kaͤ se die kehle verschlossen, er erzittern, blaß und wackelnd werden moͤgte (1777 Krünitz, Enzykl. VI 777) [DRW-WA: Käse I 2a]

Synonym zu Bissen- oder Abendmahlsprobe liegen im historisch-rechtlichen Kontext der ‚beschworene Käse‘ und das ‚Brot-Urteil‘ vor:

es hieß dieses der beschworne kaͤse, oder das brod-urthel (1785 Krünitz, Enzykl. 35 S. 537) [DRW-WA: Käse I 2a]

Das ‚Käseurteil‘ als tzysordel ist als weitere Bezeichnung für die ‚Probe mit dem geweihten Bissen‘ angeführt:

hweerso een man of een wyf wr wonnen wirdet mit wettercampe, onde dattet him komt mit riuchte, soe sintse dera deda alle schieldich, want et him god op wysd haet ... umme dat tzysordel also (14. Jh. Richth. 408) [DRW-WA: Käseurteil]

Diastratik: umgangssprachlich [DUO: Bissen] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel - Interlingual Kompatibles: engl.: his throat contracted with fear [PONS]; frz.: j'ai le souffle coupé [nach ROE: Bissen]; isl.: hann stirðnaði upp af skelfingu [PONS]

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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