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Daumenschrauben

Daumenschrauben: (jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen

Umschreibung: jmdn. unter Druck setzen, sie/ihn in grober, rücksichtsloser Weise zu etw. zwingen [DUR: Daumenschraube; GG]; durch moralische Zwangsmittel jmdn. zu etw. zwingen [vgl. DSL: Daumschrauben]

Analyse der Bedeutung: Die etymologische Herkunft von ‚Schraube‘ (‚nagelähnlicher Metallstift mit Gewinde’) kann nicht mit Gewissheit bestimmt werden. Eine Herleitung aus vermutlich mundartl. lat. scrōfa (‚Sau, Mutterschwein’, im Spätlat. ‚weibliche Scham‘ und im Mlat. ‚Schraubenmutter‘) sowie lat. *scrōba (‚Mutterschwein‘ und ‚Grube‘; im Spätlat. scrobis virginalis für ‚weibliche Scham‘) ist denkbar. Bei Spätmhd. (md.) schrūbe (1361), mnd. schrūve sowie nl. schroef (1598) könne es sich folglich um Entlehnungen aus dem Lateinischen handeln. Ein sexuelles Bild stellt wohl die Ursache für die differenten Bedeutungen dar. [Vgl. WPE: Schraube].
Das Maskulinum ‚Daumen‘ (‚zweigliedriger, stärkster Finger der Hand, der den anderen Fingern zum Fassen gegenübergestellt werden kann‘) führt hingegen auf die ie. Wurzel *tē̌u-, *teu̯ə-, *tū̌- (‚schwellen’) zurück, woraus sich auch aind. túmraḥ (‚kräftig, dick, groß’) sowie die lat. Formen tumēre (‚geschwollen sein’), tumidus (‚aufgeschwollen, aufgeblasen’) oder tumor (‚Schwellung, Geschwulst’) erklären lassen. Die Bedeutung des ‚Geschwollenen, Dicken und Starken‘ spiegelt sich u. a. in ahd. (8. Jh.) sowie asächs. thūmo, mhd., mnd. und mnl. dūme, nl. duim, afries. thūma, aengl. þūma, engl. thumb, aschwed. þumi, schwed. tumme oder anord. þumall wider. Frühere Bezeichnungen wie Daume und Daum können bis zum 18. bzw. 19. Jh. beobachtet werden. Die Form Daumen taucht im 15. Jh. bereits als parallele Form zu Daum auf und setzt sich schließlich durch. [Vgl. WPE: Daumen].
Fem. Pl. ‚Daumenschrauben‘ als ‚ein eisernes schraubzeug, das beim foltern an das mittlere gelenk des daumens gelegt ward‘ wird im Mnd. als dûmenschruve und im Nnl. als dûimschroef realisiert. Bis ins 20. Jh. bildet daumschraube die geläufige Form. [Vgl. DWB1: daumenschraube, daumschraube; vgl. DWB2: daumenschraube].
Die figurative Redensart (jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen hat ihren Ursprung in der Tortur und bezieht sich näher auf den zweiten Foltergrad, der nach der sog. ‚Verbal-Territion‘ (vgl. dazu die Redewendung ↑jmdm. die Folterwerkzeuge zeigen) erfolgte. [GG] Nach dem ‚Schrecken‘ mittels Folterwerkzeuge wurden der noch nicht zu einem Geständnis bewogenen delinquenten Person in einem zweiten Schritt, der ‚Real-Territion‘, die verschiedenen Instrumente angelegt. Im Falle der Daumenschrauben wurden diese durch die Henkersknechte angebracht und vorerst leicht angezogen, um zu ermitteln, ob sich die/der Angeklagte bereits zu einer geständigen Aussage bringen ließ. [Vgl. Zagolla 2006, S. 71].
Werden jmdm. die Daumenschrauben metaphorisch angesetzt, ist der ausgeübte Druck bereits zu erahnen und auch spürbar. Vom Bild der ‚Realterrition‘ als zweite Folterstufe motiviert, werden ein verübter Druck sowie Zwang für die Adressatin/den Adressaten bereits deutlich, sodass sie/er sich genötigt sieht, in irgendeiner Form zu handeln oder zu reagieren. [GG]
Zunächst sind die Daumenschrauben in ihrer übertragenen Bedeutung noch enger an ihren ursprünglichen Kontext geknüpft (d. h. in Fällen von Geständnissen unter Zwang), während sie später in distanzierten Kontexten von Erpressungsversuchen oder Zwangsmaßnahmen Verwendung finden. [Vgl. DWB2: daumenschraube].
Für die heutige Zeit lassen sich auch völlig differente Zusammenhänge bestimmen, wo mit dem Anlegen von Daumenschrauben schlicht unüberwindbare Hindernisse und Einschränkungen in bildhafter Weise umschrieben werden (vgl. dazu die Rubrik ‚Aktuelle authentische Belege‘). [GG] - 

Realienkundliches: Auszug aus Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste (1731–1754). Unter dem Stichwort ‚Schrecken‘ wird u. a. die sog. ‚Real-Territion‘ mittels Daumenschrauben näher ausgeführt, wobei unterschiedliche Positionen zum leichten Zuschnüren/Anziehen diskutiert werden:

Die andere Art der Schreckung, oder die Real⸗Territion iſt, wenn es der Scharffrichter bey denen bloſſen Minen und Geberden nicht bewenden laͤſzt, ſondern auch zugleich die Hand an den Inquiſiten leget, ſelbigen entbloͤſſet, zur Leiter fuͤhret, ihm die gehoͤrigen Marter⸗Inſtrumente vorzeiget, die Daum⸗Stoͤcke anleget, und mit dem Schnuͤren den Anfang machet. […] Doch iſt auch dieſelbe mit der Tortur ſelbſt nicht zu vermengen. Denn bey der Schreckung, wenn man mit dem Schnuͤren nur den Anfang machet, werden die Haͤnde nur in etwas zuſammen gebunden, woraus der Inquiſit nicht eben groſſe Schmertzen empfindet; bey der Tortur ſelbſt aber werden die Schnuͤre an den Orten wo das G lencke [sic!] zwiſchen der Hand und dem Arme iſt, dergeſtalt angezogen, daſz ſie gantz bis auf den Knochen kommen. […] Nach der Koͤnigl. Preuſziſchen Crimin. Ordn. c. 9. §3. wird zur Real Territion gerechnet, daſz der Scharffrichter den Inquiſiten wuͤrcklich angreiffe, entkleide, zur Leiter fuͤhre, endlich auch die Schnuͤre, Daum⸗ und Bein⸗Schrauben anlege, aber nicht zuſchnuͤre und zuſchraube. [Zedler: Schrecken, Sp. 1114]

Die Newe peinliche Landtgerichts-Ordnung in Oesterreich vnter der Ennß unter Ferdinand III. im Jahr 1656 führt nach den Stufen der verbalen Drohung und dem Demonstrieren einzelner Folterwerkzeuge die Anlegung der Daumenschrauben (synonym auch ‚Daumenstock‘) an:

§9. Zum fall aber die Perſon ſchwach / ſo iſt das auffziehen nicht gleich anfangs vorzunemmen / ſondern nach gelegenheit der Sachen:
Erſtlich / die betrohung deſz Scharpfrichters:
Andertens / die vorſtoͤll: vnd vorweiſung ſeiner Werckzeug:
Drittens / die anſchrauffung der Daumbſtoͤck:
Vierdtens / der Spaͤniſchen Stifel zuverſuechen. [Ferdinand III. 1656, S. 32 §9]

Die Bezeichnung daumstock referiert einerseits auf eine eiserne Handfessel, andererseits einen Pranger, wo die Delinquentin/der Delinquent mit Daumenschrauben fixiert wurde, oder ist als Synonym zum Folterinstrument der Daumenschrauben zu verstehen [vgl. DRW-WA: Daumenstock, Daumstock]:

do hott ihr der scharfrichter einen daumstock angelegt (1576 BrandenbSchSt. I 671) [DRW-WA: Daumenstock, Daumstock I 1]

Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Allgemeiner Gebrauchskontext: gehäuft im politischen Kontext - Interlingual Kompatibles: engl.: to put the thumbscrews on sb [PONS]; frz.: serrer la vis à qn. [PONS]; span.: apretar(le) a alguien las tuercas [o las clavijas] [PONS] - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel - Querverweis: ↑(bei jmdm./etw.) die Daumenschrauben (härter/enger…) anziehen/(an-)drehen

 

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Daumenschrauben: (bei jmdm./etw.) die Daumenschrauben (härter/enger…) anziehen/(an-)drehen

Umschreibung: den Druck erhöhen, mehr Zwang ausüben [DUR: Daumenschraube]; jmdn. unter Druck setzen, sie/ihn in grober, rücksichtsloser Weise zu etwas zwingen [DUO: Daumenschraube; GG]; jmdn. brutal zu etw. zwingen [eWDG: Daumenschraube]

Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie siehe die Wendung ↑(jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen.
Nachdem Verbal- sowie Real-Territion zu keinem Geständnis der/des Angeklagten führten, kam nach der psychischen Folter erst die eigentliche physische ins Spiel, bei der wiederum nach unterschiedlichen Schmerzensgraden differenziert wurde. Die Daumen- oder Beinschrauben wurden im Zuge des ersten Foltergrades eingesetzt, wobei die Daumenschrauben im Vergleich zu den Beinschrauben und dem ‚Schnüren‘ (siehe dazu ↑(kein/ein) Folterwerkzeug (für jmdn./etw. sein) / (keine) Folterwerkzeuge sein als milde Form der Folter betrachtet wurden. [Vgl. Zagolla 2006, S. 72f.].
Die Wendung (bei jmdm./etw.) die Daumenschrauben (härter, enger…) anziehen/(an-)drehen ist streng genommen als Steigerung zur vorangehenden Wendung ↑(jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen zu verstehen, und zwar analog zum Bild der Folter, wo das Anlegen an sich noch keine physischen Schmerzen bereitet, sondern in die Stufe des ‚Schreckens‘ (wie ↑jmdm. die Folterwerkzeuge zeigen) fällt und erst mit dem Anziehen der Schrauben die tatsächliche Tortur erfolgt. Wie mittels der fakultativen Komparative ‚härter‘ und ‚enger‘ bereits impliziert wird, intensiviert sich der Grad nochmals – eine feine Nuance, die jedoch bei der konkreten Verwendung der metaphorischen Redensart nur selten mitberücksichtigt wird. Folglich wird sie meistens synonym zur Wendung ↑(jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen gebraucht, um auszudrücken, dass entweder Druck erhöht oder Zwang ausgeübt wird. [GG] - 

Realienkundliches: Laut Artikel 38, §17 der Constitutio Criminalis Theresiana von 1768/1769 erfolgte sowohl in Österreich als auch in Böhmen der erste Grad der Tortur über die ‚Daumenstöcke‘ bzw. ‚Daumenschrauben‘. Um die Schmerzen zu steigern, konnte zusätzlich mit einem harten Gegenstand wie einem Hammer gegen die Schraubgeräte geklopft werden:

§17. Was nun die Peinigungsarten, und dieſzfaͤllige Abſaͤtze, oder Gradus Torturӕ anbelanget, da wollen Wir zu Hindanhaltung all-willkuͤhrlicher, oder fremder Torquirungsarten hiemit geſetzgebig geordnet haben, daſz die Tortur in Unſeren koͤniglichen Boͤhmiſchen Erblanden auf Art, und Weiſe, wie ſelbe derzeit in Unſer Hauptſtadt Prag uͤblich, und wovon die Beſchreibung ſub Nro. 3tio. beygerucket iſt; in Unſeren Oeſterreichiſchen Erblanden aber auf Art, und Weise, wie ſolche in Unſer Reſidenz-Stadt Wien in Uebung iſt, und ſub Nro. 4to. ſich beygefuͤgter befindet, fuͤr allgemein gebrauchet werden ſolle.
Aus erſagten Beſchreib- und Schilderungen ſub Nro. 3tio, & 4to. iſt nun abzunehmen, daſz in Unſeren Boͤhmiſchen Landen die Tortur 1mò. in den Daumſtoͤcken, oder Daumſchrauben mit - oder ohne Schlagung an den Daumſtock; 2dò. in der Bind- oder Schnuͤrung von vorwaͤrts; 3tiò. in der Folterung mit Aufſpann - und Reckung des Koͤrpers auf der Leiter; 4tò. in Anwendung des Feuers gegen den auf der Leiter aufgeſpannten Koͤrper; dahingegen in Unſeren Oeſterreichiſchen Landen 1mò. in den Daumſchrauben mit - oder ohne Anklopfung, 2dò. in der Bind- oder Schnuͤrung von ruckwaͤrts mit einem, oder mehreren, hoͤchſtens drey abgeſetzten Baͤnden, 3tiò. in der Folterung, oder trockenen Aufzug im Luft mit einem, oder mehreren, hoͤchſtens drey Abſaͤtzen, dann Anhaͤngung der Gewichter bey dem anderten, und dritten Abſatz zu beſtehen habe. Wobey Wir ernſtgemeſſen befehlen, daſz jenen Falls, da Jemand durch alle Grad der Tortur zu peinigen iſt, uͤber erſtbemeldte Marterarten nicht ſolle, noch koͤnne weiter geſchritten werden. [Maria Theresia von Österreich 1769, Art. 38, S. 111, §17]

Wie die ersten beiden Abbildungen aus der Constitutio Criminalis Theresiana von 1768/1769 erkennen lassen, bestehen die Daumenschrauben aus zwei 6 3/4 Zoll langen und ½ Zoll dicken Metallplatten, worauf Nieten oder Stacheln versetzt angeordnet sind.
Über einen Schraubmechanismus (vgl. die letzten beiden Abb.) können diese zusammengepresst werden, um das erste Glied des Daumens (durch den Buchstaben ‚H‘ genau begrenzt) im unterschiedlichen Ausmaß zu quetschen. Die zu folternde Person, die mit zusammengebundenen Füßen auf einem Schemel sitzt, legt dabei die Daumenglieder auf die untere Eisenplatte und wird vom ‚Freymannsknecht‘ an den Schultern festgehalten. Knecht sowie ‚Freymann‘ halten an jeweils einem Ende den Daumenstock, während der ‚Freymann‘ mit dem Schraubenschlüssel abwechselnd an den Schraubenspindeln immer weiter zuschraubt.

In diversen Museen, Sammlungen und Ausstellungen können erhaltene Daumenschrauben in unterschiedlichen Varianten besichtigt werden. Das folgende Exemplar zählt zu den Sammlungen der Oberösterreichischen Landesmuseen und wird ins 18. Jh. (oder älter) datiert. Eine der beiden Metallplatten fehlt.

Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Allgemeiner Gebrauchskontext: auffällig gehäuft in politischen Kontexten - Interlingual Kompatibles: engl.: to tighten the thumbscrews [PONS] - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel - Querverweis: (jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen

 

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Daumenschrauben: Daumenschrauben(-…)

Umschreibung: Druck-, Einschränkungs-, Zwangsmittel [GG]

Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie sowie historischen Analyse siehe die Wendungen ↑(jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen sowie ↑(bei jmdm./etw.) die Daumenschrauben (härter/enger…) anziehen/(an-)drehen.
Der metaphorische Ausdruck Daumenschrauben tritt stets wie innerhalb der oben genannten Redensarten im Plural auf und kann auch als Teil von Komposita Verwendung finden, um vor dem prägenden Hintergrund des Folterinstruments diverse Druck- oder Zwangsmittel bzw. -situationen auf bildlichem Wege zum Ausdruck zu bringen. [GG] - Realienkundliches: Vgl. dazu die Wendungen ↑(jmdm.) die Daumenschrauben anlegen/ansetzen und ↑(bei jmdm./etw.) die Daumenschrauben (härter/enger…) anziehen/(an-)drehen. - Semantische Prozesse: auch pejorativ gebraucht (z. B. Daumenschrauben-Politik); kompositionsfähig - Allgemeiner Gebrauchskontext: auffallend gehäuft in politischen Kontexten - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel - Querverweis: ↑(kein/ein) Folterwerkzeug (für jmdn./etw. sein) / (keine) Folterwerkzeuge sein

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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