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Eisen

Eisen: (etw. ist ein) heißes Eisen

Umschreibung: eine heikle, bedenkliche Sache [DUR: heiß]; Angelegenheit, die als heikel oder unangenehm empfunden wird; ein in der öffentlichen Diskussion stark umstrittenes Thema [ZDL: heißes Eisen]; eine heikle Angelegenheit, mit der man sich ungern befasst, da sie Schwierigkeiten verursacht [eWDG: Eisen]

Analyse der Bedeutung: Eisen in der Bedeutung des ‚grauen Schwermetalls‘ sowie als ‚Werkzeug‘ oder ‚Gegenstand wie Pflugeisen oder Hufeisen‘ ist bereits im 8. Jh. durch ahd. īsarn, īsan belegt und tritt im Mhd. als īsern, īser, īsen, im Asächs. als īsarn, im Mnd. als īsern, īsen, im Mnl. als īser, īsen, im Nl. als ijzer, im Afries. über īser, īsern, im Aengl. über īsern, īsen, īren, im Engl. als iron, im Anord. als īsarn bzw. īarn, jārn, im Schwed. als järn und im Got. in der Form von eisarn in Erscheinung. Das Wort taucht mit besagter Bedeutung sowohl im Germ. als īsarna-, als auch im Kelt. als *īsarno- auf. Die These einer Herkunft aus dem Illyrischen kann nicht verifiziert werden, da die Eisengewinnung für jene Kultur im 8. Jh. v. Chr. nicht belegt ist [vgl. WPE: Eisen; vgl. DHW: Eisen].
Das nhd. Adjektiv ‚heiß‘ (‚sehr warm‘) sowie die adjektivischen Formen heiʒ (ahd., mhd.), hēt (asächs., mnd.), heet (mnl., nl.), hāt (aengl.), hot (engl.), heitr (anord.) und het (schwed.) lassen sich auf die ie. Wurzel *kā̌i-, *kī̌- (‚Hitze’) zurückführen, die sich im 9. Jh. zu ahd. hei (‚Brand an Pflanzen‘), um 1100 zu heia (‚Hitze‘), im 12. Jh. zu giheii (‚Brand‘) und im Mhd. zu gehei(e) (‚Brand, Hitze‘) weiterentwickelt. Lit. kaĩsti ‘heiß machen, werden’, kaitrà, kaĩtris (‚drückende Hitze, Schwüle, Glut’), kaitrùs (‚Hitze verbreitend, brennend, sengend’), Lett. kaist (‚heiß werden, brennen’) orientieren sich an der durch t-Erweiterung gebildeten germ. und balt. Wurzel, wobei das nhd. Adjektiv mit der lit. Wortgruppe verwandt ist. [Vgl. WPE: heiß; vgl. DHW: heiß].
Der Beleg (etw. ist ein) heißes Eisen ist wie die sprichwörtliche Redensart ↑ein heißes Eisen anfassen/anpacken auf die (frühmittelalterliche) Praxis der ‚Feuerprobe‘ im Rahmen des Gottesurteils zurückzuführen. [Vgl. ROE: Eisen; vgl. LDR: Eisen]. Diese Art von Probe lässt sich näher in die Kessel-, Eisen-, und Pflugscharenprobe gliedern, wobei das heiße Eisen aus letzteren beiden hergeleitet werden kann. [GG] Als Teil der Feuerprobe werden sie zu den ‚berufenen‘ Ordalen gerechnet, wo der Christengott als ‚höchster Richter‘ mit dem vermeintlich unlösbaren Fall betraut und dazu aufgerufen wurde, die Wahrheit durch die Übermittlung eines Zeichens ans Licht zu bringen. [Vgl. Karner 2010, 17–19, 23].
Im Zuge der ‚Eisenprobe‘, welche schriftlich bereits im 12. Jh. belegbar ist, wurde die/der Beklagte dazu angeleitet, ein erhitztes Eisen-Stück für eine vorgeschriebene Zeit oder Anzahl an Schritten zu tragen. [Vgl. ROE: Eisen]. Die Durchführung der ‚Pflugscharenprobe‘, bei welcher die beschuldigte Person über erhitzte Pflugscharen laufen musste und auf die im Rechtskontext ebenfalls durch den Ausdruck ‚heißes Eisen‘ verwiesen wird, ist bereits bei Herodot (4, 5) mit Bezug auf die Skythen überliefert. [Vgl. DWB1: eisen]. Nach der überstandenen Prozedur wurde in beiden Fällen die verletzte Hautstelle verbunden und zusätzlich für drei bis höchstens vier Tage unberührt gelassen, was mittels einer Versiegelung des Verbandes sichergestellt wurde. Nach Ablauf der Frist wurden befugte Personen wie Priester damit beauftragt, das Siegel zu brechen und den Verband zu lösen, um die Wunde zu begutachten. Traten Komplikationen wie Eiterungen auf, war dies als Zeichen für Schuldhaftigkeit zu verstehen, wohingegen ein komplikationsfreier oder rascher Heilungsprozess auf die Unschuld einer Person bzgl. eines Sachverhalts hinwies. [Vgl. Karner 2010, 23f.; vgl. DUO: Eisen; vgl. ROE: Eisen; vgl. LDR: Eisen]. Wie anhand von historischen Quellen nachweisbar ist, fand die ‚Eisenprobe‘ in Fällen von materiellem Betrug und Diebstahl Verwendung. Literarische Texte hingegen belegen diese Form des Gottesurteils im Zusammenhang mit ideellem Betrug wie ehelicher Untreue. [Vgl. Karner 2010, 40f.].
Dass es sich nach modernem Verständnis beim metaphorischen Ausdruck ein heißes Eisen um eine heikle Angelegenheit handelt, rührt einerseits daher, dass das Prozedere sowohl bei Schuldhaftigkeit als auch bei Unschuld eine physische Verletzung nach sich zog. [GG]
Im Niederländischen wird mittels hangijzer (im buchstäblichen Sinne ‚ein Gestell über der Feuerstelle für Töpfe und Pfannen‘) in der Verbindung een heet hangijzer (‚ein heikles Thema‘) dasselbe ausgedrückt, wobei hierin eine weitere, jedoch weniger prominente Möglichkeit der Herleitung sichtbar wird: Ohne jeglichen Bezug zum Gottesurteil lässt sich an die Gefahr des Verbrennens am glühenden, heißen Metall denken. [Vgl. ROE: Eisen; vgl. LDR: Eisen]. - Entstehungszeit: 18. Jh. [KUE I: heiß] - 

Realienkundliches: Rechtliche Verankerungen des barfüßigen Schreitens über die heißen bzw. glühenden Pflugscharen unter der Nennung von judicium vomerum (‚Pflugscharen-Gericht‘):

der angeklagte mußte [bei der feuerprobe] ... uͤber ein gluͤhendes pflugschaar oder kohlen mit bloßen fuͤßen ... gehen (1801 Rößig,Altertümer 330) [DRW-WA: Pflugschar]
eine dritte art der feuerprobe war die probe der glühenden pflugschaaren, oder des glühenden eisens ... judicium per ferum candens, judicium vomerum. bei derselben musste man entweder mit blosen füssen über das glühende eisen weggehen, oder es in die blosen hände nehmen (1795 Majer,GOrdalien 48f.) [DRW-WA: Pflugschar]

Beleg für die Befürwortung der ‚Pflugscharenprobe‘ bei Verdacht auf Keuschheits-Verlust einer Frau bei Aegidius Albertinus (1560-1620):

sie hat ihr keuschheit bewehrt, indem sie auf glüende pflugeisen mit bloszen, doch unverletzten füszen gangen. (Albertinus hauspolizei 1, 7ᵇ) [DWB1: pflugeisen]

Diastratik: umgangssprachlich [ZDL: heißes Eisen] - Semantische Prozesse: phraseologisiert - Allgemeiner Gebrauchskontext: in verschiedensten Kontexten, jedoch besonders häufig im politischen Kontext - Interlingual Kompatibles: dän.: en varm kartoffel [PONS]; dän: en kilden sag [PONS]; engl.: a hot potato [dict.cc]; frz.: un sujet brûlant [PONS]; ital.: una patata bollente [PONS]; ital.: una questione scottante [PONS]; nl.: een heet hangijzer [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik - Querverweis: ↑ein heißes Eisen anfassen/anpacken

 

* * *


Eisen: ein heißes Eisen anfassen/anpacken

Umschreibung: sich mit einer unangenehmen Thematik auseinandersetzen; eine brisante Thematik zur Sprache bringen; sich an ein unbeliebtes, unter Kritik stehendes Thema herantrauen und es behandeln [GG]

Analyse der Bedeutung: Zur etymologischen Herleitung siehe die vorangehende Wendung ↑(etw. ist ein) heißes Eisen.
Analog zu ↑ein heißes Eisen ist die figurative Wendung ein heißes Eisen anfassen (in seltenen Fällen auch anpacken) von der mittelalterlichen Gottesurteilspraxis respektive der ‚Eisenprobe‘ im Rahmen der ‚Feuerprobe‘ geprägt, wo das glühende Metall in den Händen für eine festgelegte Zeit getragen oder gehalten werden musste. Sie dazu näher den Analyseabschnitt zu ↑(etw. ist ein) heißes Eisen. - 

Realienkundliches: Innerhalb des Sachsenspiegels ist das ‚Tragen des heißen Eisens‘ bei Verdacht auf Raub oder Diebstahl oder wenn die Beschuldigten ihr Recht durch jene Missetaten bereits eingebüßt haben als dritte Option zum ‚Kesselfang‘ oder ‚gerichtlichen Zweikampf‘ rechtlich verankert:

Vertheidigung der Rechtlosen mit Gottesurtheil
De ir recht mit rove oder mit düve verloren hebbet, of man se düve oder roves anderwerve scüldeget, se ne mogen mit irme ede nicht unscüldich werden. Se hebbet drier kore: dat glogende isern to dragene, oder in enen wallenden ketel to gripene bit to dem ellenbogen, oder deme kempen sik to werene. [Sachsenspiegel I, 39]

Bei August Bohse (1661–1742), einem Juristen und Rhetorikprofessor, findet sich das ‚Anfassen des heißen Eisens‘ als Option bei Verdacht auf Unzuchtvergehen wieder:

läugnet sie (die der unzucht beschuldigte) nun, so muss sie die hände in siedend wasser stecken oder ein heisses eisen anfassen (Bohse frühlings-früchte 395). [DWB2: Eisen]

Weitere Nennung bei Johannes Hartlieb (1400–1468), wobei hier die Unversehrtheit stilisiert wird:

er truͦg das gluend eysen unversert (Hartlieb dialogus 294 DTM). [DWB2: Eisen]

In Das heiße Eisen des Strickers findet die Eisenprobe literarisch gleich zweimal Verwendung, um im privaten Rahmen die gegenseitige Treue eines Ehepaares zu überprüfen. Bevor der Mann das erhitzte Eisen in die Hand nimmt, wird es auf zwei Steinen zwischengelagert:

daz ysen wart zehant zeglu(o)t.
zwene steine warn da bereit;
da wart daz ysen uf geleit,
daz ez nach sinem rehte lac. [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 64–67]

Nachdem er unbemerkt einen Span in die Hand fallen gelassen und das Eisen darauf platziert hat, erfolgt die Eidleistung:

er sprach: “nu sol got wisen,
daz dir min lip noch min gedanch
noch nie getet deheinen wanch
und dir ie was mit triwen mit.” [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 76–79]

Im Anschluss daran absolviert der Ehemann mehr als die sechs obligatorischen Schritte und zeigt der Ehefrau seine Hand, die völlig unversehrt ist:

er tru(o)gez me denne sehs schrit.
als schiere daz was getan,
do *barch er aber sinen span
und lie si die hant sehn.
si sprach: “ich wil dir iemer iehen,
daz du dich wol behalten hast
und allez valsches ane stast.
diu hant ist schone als ein golt.
ich wil dir iemer wesen holt.” [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 80–88]

Für den Treuebeweis, den nun die Ehefrau erbringen soll, erhitzt der Mann das Eisen erneut:

zehant er iz in daz fiur truch
und glu(o)te ez vaste gnuch
und leit ez ouch, da ez ê lach. [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 107–109]

Als sich die Frau, nachdem sie drei Treuebrüche gestanden hat, dennoch der Feuerprobe unterziehen muss, verletzt sie sich schwer:

daz ysen nam si uf die hant
und wart also sere verbrant,
daz si schrei mit grozzer ungehab:
“owe, mir ist diu hant ab!” [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 173–176]

Der Mann hat bereits die Vorbereitungen für das Versiegeln der Wunde mit Wachs und das Verbinden getroffen:

ein wahs het er gebreitet
und ein tuch dar zu bereitet
und wolde si verbinden. [Moelleken 1973–1978: Das heiße Eisen, 177–179]

Im Tristan des Gottfrieds von Straßburg soll Isolde der Feuerprobe unterzogen werden, um ihre Treue gegenüber König Marke unter Beweis zu stellen:

Der künec der sprach: »vrou künigîn,
hier an lâz ich ez wol gestân.
mac ich gerihte von iu hân,
als ir uns habet vür geleit,
sô tuot es uns gewisheit.
gât her in alrihte,
vertriuwet daz gerihte
zem glüejenden îsen, als wir iuch hie bewîsen.« [Krohn 2014: Tristan, 15518–15526]

In Caerleon, wo das Gottesurteil exerziert werden soll, ist neben Baronen, Geistlichen und Rittern auch das gemeine Volk versammelt. Die Vorbereitungen werden dabei von Bischöfen und Prälaten getroffen:

dâ was vil barûne,
pfaffen unde ritterschaft,
gemeines volkes michel craft.
bischove und prêlâten,
die daz ambet tâten
und segenten daz gerihte,
die wâren ouch inrihte
mit ir dinge bereit.
daz îsen daz was în geleit. [Krohn 2014: Tristan, 15634-15642]

Nachdem Königin Isolde einiges an Habseligkeiten zur Aussühnung mit Gott verschenkt hat, begibt sie sich in einfacher härener, rauher Kleidung zum Hochamt ins Münster.

diu guote küniginne Îsolt
diu haete ir silber unde ir golt,
ir zierde und swaz si haete
an pferden unde an waete
gegeben durch gotes hulde,
daz got ir wâren schulde
an ir niht gedaehte
und sî z’ir êren braehte.
hie mite was sî zem münster komen
und haete ir ambet vernomen
mit inneclîchem muote.
diu wîse, diu guote,
ir andâht diu was gotelîch.
si truoc ze nâhest an ir lîch
ein herte hemede haerîn,
dar obe ein wullîn rockelîn
kurz und daz mê dan einer hant
ob ir enkelînen want.
ir ermel wâren ûf gezogen
vaste unz an an den ellenbogen.
arme unde vüeze wâren bar. [Krohn 2014: Tristan, 15643–15663]

Es folgt das Schwören auf eine Reliquie:

hie mite was ouch daz heiltuom komen,
ûf dem si sweren solde. [Krohn 2014: Tristan, 15668–15669]

Nach dem geleisteten Schwur wird das Gottesurteil durch den König angeordnet und von der Beklagten praktiziert:

nu nemet daz îsen ûf die hant.
[…]
In gotes namen greif si’z an
und truog ez, daz si niht verbran. [Krohn 2014: Tristan, 15727, 15731–15732]

Auf parodierende Art und Weise nimmt sich der Spruchdichter, Meistersinger sowie Dramatiker Hans Sachs (1494–1576) der ‚Eisenprobe‘ an, was auch die kritische Position und die Skepsis gegenüber dem Ordal zu dieser Zeit beleuchtet:

Flucks nimb das Eyssn, weil es ist heiß,
vnd trag es sittlich auß dem kreiß,
das ich darbey mög nemen ab,
was for ein frommes Weib ich hab! [Hans Sachs, Fastnachtspiel, ‚Das heiß Eysen‘, nach ROE: Eisen]

Diastratik: umgangssprachlich - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Allgemeiner Gebrauchskontext: in verschiedensten Kontexten, jedoch besonders häufig im politischen Zusammenhang - Interlingual Kompatibles: engl.: to hit a hot topic [dict.cc]; engl.: to take the bull by the horns [PONS]; span.: tocar una cuestión delicada [PONS]; span.: tocar un tema delicado [PONS] - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel - Querverweis: ↑(etw. ist ein) heißes Eisen

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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