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Folter

Folter: etw. ist eine/die reinste (seelische) Folter

Umschreibung: höchste Pein, Qual [eWDG: Folter]; etw. ist für jmdn. eine absolut unerträgliche, extrem qualvolle Situation oder ein völlig unaushaltbarer Zustand [GG]

Analyse der Bedeutung: Das Femininum ‚Folter‘, das einerseits auf ein Gerät zur körperlichen Misshandlung im Zuge des Erzwingens von Geständnissen und andererseits auf die körperliche, seelische Qual referiert, weist hinsichtlich seiner Herkunft Unklarheiten auf. Bei den Römern, die den Germanen bzgl. der Folter als Vorbild dienten, fand ein spezielles Foltergerät Verwendung, das optisch einem Pferd ähnelte und den Namen lat. eculeus (‚Pferdchen‘), die diminutive Form zu lat. equus ‚Pferd‘, trug. Zu Beginn des 15. Jhs. taucht die dt. Form Föltrit auf, die hingegen auf lat. pullitrus bzw. pullitra (von lat. pullus ‚Tierjunges‘) zurückgeführt wird. Über die mlat. Varianten pulletrus, poledrus und poletrus ist das ‚Fohlen‘ definiert, welches gemeinsam mit dem lautlichen Einfluss von ‚Marter‘ für die Bildung von ‚Folter‘ verantwortlich gemacht wird. Ende des 15. Jhs. weist ‚Folter‘ analog zu ‚Marter‘ ein feminines Genus auf. Auf ähnliche Weise erfolgte im Spanischen über eine vlat. Variante die Bildung der Form potro ‚Fohlen‘, die ebenfalls zur Bezeichnung eines Foltergeräts verwendet wurde. [Vgl. WPE: Folter].
Im juristischen Kontext wird unter ‚Folter‘ „jeder Zwang zur Herbeiführung eines Geständnisses oder einer Aussage im Rahmen des Beweisverfahrens“ [HRG-RL: Folter] verstanden. Ebenso wie ‚Folter‘ geht auch der Begriff ‚Tortur‘ auf die lat. Sprache zurück, der anfänglich im Sinne von ‚Qualen‘, ‚Schmerzen‘ gebraucht wurde und später tormenta für ‚Folter‘ ersetzte. Daneben bilden lat. Termini technici wie quaestio, cruciatus und Marter, die sich innerhalb von fränkischen Quellen bis Anfang des 10. Jhs. nachweisen lassen und dem römischen Recht entstammen, weitere Ausdrucksmöglichkeiten für ‚Folter‘ im juristisch-technischen Sinne. [Vgl. HRG-RL: Folter].
Was den europäischen Raum betrifft, nahmen sich die eingefallenen Germanenstämme ein Vorbild an der römischen Folterpraxis (ars torquendi). Zu Beginn war es nach römischem Recht nur gestattet, angeklagte Sklaven der Folter zu unterziehen, später war dies auch in Fällen von Geldstreitigkeiten oder wenn sie als Zeugen erscheinen sollten, erlaubt. Die Folter freier römischer Bürger hingegen war lange untersagt, bis sie Mitte des 2. Jhs. bei Verrat oder diversen Kapitalverbrechen wie Giftmord oder Ehebruch zulässig war, da sich durch die Differenzierung in ‚edle Bürger‘ (honestiores) und ‚einfache Bürger‘ (humiliores) die sozialen Klassenverhältnisse änderten. Im 6. Jh. veranlasste Kaiser Justinian die Zusammenstellung des sog. Corpus Iuris Civilis, einer Sammlung des bürgerlichen Rechts, mit den wichtigsten Erlässen, Kommentaren und Gerichtsurteilen aus allen römischen Epochen. 1100 wurde das Corpus durch Irnerius, einen Rechtsprofessor, wiederentdeckt, mit Kommentaren versehen und als Vorbild für das mittelalterliche Gewohnheitsrecht herangezogen. Die Einträge zur Folter befinden sich im zweiten Buch, den sog. Digesten, welche Einzug in die germanischen Volksrechte fanden. Im 6./7. Jh. weisen germanische Rechtsquellen erstmals die Folter an Sklaven sowie an freien Germanen im Fall von Königsmord in schriftlicher Form auf. Das regelmäßige Praktizieren der Folter sowohl bei unfreien als auch bei freien und adeligen Bürgern ist allein bei den Westgoten vorzufinden. [Vgl. Zagolla 2006, S. 21f., 24, 28, 30].
Es wird davon ausgegangen, dass sich die germanischen Volksrechte unter Ausschluss der Westgoten von der Folter als probates Rechtsmittel distanzierten und darin vielmehr ein ‚Knechtsordal‘ bzw. eine Art ‚Gottesurteil‘ sahen. Gegen Ende des 13. Jhs. taucht die Folter im süd- sowie norddeutschen Raum erneut in Schriftquellen auf, was einerseits aufgrund ausländischer Einflüsse (z. B. Oberitalien) sowie andererseits zugunsten der örtlichen Regelung von Kriminalität und Unfrieden erklärt werden kann. Es existieren schriftliche Belege, die in diesem Zeitraum ein vermehrtes Auftreten von ‚landschändlichen Leuten‘ nennen. [Vgl. Zagolla 2006, S. 41]. Darüber hinaus trat die im Jahre 1252 von Papst Innozenz IV. veröffentlichte Dekretale Ad Extirpanda im Rahmen der Inquisitionsprozesse in Kraft, womit die Folter als Mittel zur Wahrheitsfindung erstmals päpstlich bewilligt wurde. Innerhalb dieser Inquisitionsprozesse, einer besonderen Art des Strafverfahrens, war die sog. ‚materielle‘ Wahrheit, die sich in Zeugen und Beweisen manifestiert, aufgrund der Beteiligung der Obrigkeit stärker gewichtet. Dies wiederum beeinflusste die Stellung des Geständnisses innerhalb des Beweisverfahrens, das, wenn nötig, durch Folter erpresst wurde und trotz des Erfordernisses von gewichtigen Indizien, wie sie z. B. der Schwabenspiegel hervorhebt, willkürlich ausgeführt werden konnte. [Vgl. HRG-RL: Folter]. Ab dem 14. Jh. liegen diverse Rechtsdokumente wie Gerichtsurkunden und Chroniken vor, die die Folter in Augsburg für das Jahr 1321, in Speyer, Köln und Straßburg für 1332 oder in Regensburg 1338 erstmals schriftlich belegen. [Vgl. Zagolla 2006, S. 38]. Im Zuge der Neubearbeitungen durch die Constitutio Criminalis Carolina fand die Folter sogar reichsrechtliche Anerkennung. Sie wurde infolge nicht mehr zur Tatsachenermittlung, sondern zur reinen Erzwingung von Schuldbekenntnissen eingesetzt, was sich im 15. Jh. durch die Folter von vermeintlichen Hexen und Zauberern verstärkte. [Vgl. HRG-RL: Folter]. Wie sich anhand der Nürnberger Halsgerichtsordnung von 1459 nachweisen lässt, genügte bereits ein sog. ‚böser Leumund‘ und damit der bloße Verdacht, um gefoltert zu werden. Damit wurde die Folter als präventives Mittel für etwaige Vergehen eingesetzt. [Vgl. Zagolla 2006, S. 44]. Die Willkür kulminierte im 16. Jh., insbesondere im Zusammenhang mit den zahlreichen Hexenbränden, die auf Basis von erpressten Geständnissen von wahllos gefolterten verdächtigten Mitmenschen (nominatio socii) angeordnet wurden. Nach mehreren Bestrebungen wurde die Folter ab der ersten Hälfte des 18. Jhs. innerhalb europäischer Staaten sukzessive abgeschafft, bis sie am 10.12.1984 weltweit geächtet wurde. [Vgl. HRG-RL: Folter]. Nichtsdestotrotz fanden sich immer Wege, die Foltergesetze zu umgehen, was sich am Beispiel von deutschen Kolonien in Afrika, im Pazifik und in der Südsee oder anhand der Rückkehr der Folter im Dritten Reich und danach in der DDR belegen lässt. [Vgl. Zagolla 2006, S. 95, 124, 132f.].
Praktiziert wird die Folter über verschiedenste Folterwerkzeuge, wie sie innerhalb der Wendung ↑(kein/ein) Folterwerkzeug (für jmdn./etw. sein) / (keine) Folterwerkzeuge sein überblickshaft angeführt sind. Vom Bild der Folter motiviert, wo aus der Perspektive der/des Gefolterten unmenschliche Qualen erlitten werden, dient die metaphorische Wendung ↑etw. ist eine/die reinste (seelische) Folter dazu, eine als enorm qualvoll oder belastend betrachtete Situation aus persönlicher Sicht zum Ausdruck zu bringen. Das Leiden kann sich sowohl physisch als auch psychisch auswirken und wird mittels des fakultativen Superlativs ‚reinste‘ zusätzlich verstärkt. [GG] - 

Realienkundliches: ‚Folter‘ wird in den Digesten des Corpus Iuris Civilis um 533 n. Chr. als ‚gewaltsames Mittel zur Wahrheitsfindung‘ definiert:

47.10.15.41
Ulpianus libro 77 ad edictum
"Quaestionem" intellegere debemus tormenta et corporis dolorem ad eruendam veritatem. Nuda ergo interrogatio vel levis territio non pertinet ad hoc edictum. Quaestionis verbo etiam ea, quam malam mansionem dicunt, continebitur. Cum igitur per vim et tormenta habita quaestio est, tunc quaestio intellegitur. [Mommsen/Krüger 1889, 47.10.15.41]
Unter peinlicher Frage muss man Tortur und körperliche Schmerzen verstehen, um die Wahrheit herauszubringen. Eine blosse Frage oder eine leichte Drohung ist also in dem Edicte nicht gemeint. Unter peinlicher Frage ist auch das gemeint, was man die Folterbank nennt. Zu dem Begriff einer peinlichen Frage gehört mithin, dass sie mit [Anwendung von] Gewalt und Tortur geschehen. [Otto 1832, Pandect. L. XLVII. Tit. 10, S. 892]

Im 1. Jh. n. Chr. schränkt Kaiser Augustus die Anwendung der Folter auf schwere Verbrechen als letzte Maßnahme ein. Sklaven sind hiervon jedoch nicht mit inbegriffen:

Paulus libro secundo de adulteriis
pr. Edictum divi Augusti, quod proposuit Vibio Habito et Lucio Aproniano consulibus, in hunc modum exstat: "Quaestiones neque semper in omni causa et persona desiderari debere arbitror, et, cum capitalia et atrociora maleficia non aliter explorari et investigari possunt quam per servorum quaestiones, efficacissimas eas esse ad requirendam veritatem existimo et habendas censeo". [Mommsen/Krüger 1889, 48.18.8.1]
8. PAUL. lib. II. de Adulter. – Es ist ein Edict des Divus Augustus vorhanden, welches er unter den Consuln Vibius Avitus und Lucius Apronianus erliess, und so lautet: Es ist meine Meinung, dass die peinliche Frage niemals in allen Angelegenheiten und in Rücksicht aller Personen statthaben dürfe, sondern nur, wenn Capital- und schwerere Verbrechen nicht anders entdeckt und herausgebracht werden können, als durch peinliche Frage der Sclaven, halte ich sie für höchst wirksam zur Erforschung der Wahrheit, und meine, dass sie gehalten werden müsse [Otto 1832, Pandect. L. XLVIII. Tit. 18, S. 1012]

Der römische, spätklassische Jurist Ulpian unterstreicht die Unsicherheit der Folter und differenziert dabei zwischen menschlichen Charakteren:

48.18.1.23
Quaestioni fidem non semper nec tamen numquam habendam constitutionibus declaratur: etenim res est fragilis et periculosa et quae veritatem fallat. Nam plerique patientia sive duritia tormentorum ita tormenta contemnunt, ut exprimi eis veritas nullo modo possit: alii tanta sunt impatientia, ut quodvis mentiri quam pati tormenta velint: ita fit, ut etiam vario modo fateantur, ut non tantum se, verum etiam alios criminentur. [Mommsen/Krüger 1889, 48.18.1.23]
Der peinlichen Frage darf nicht immer, jedoch auch nicht niemals Glaubwürdigkeit beigemessen werden, das ist durch Constitutionen vorgeschrieben worden; denn es ist ein ungewisses, gefährliches und trügliches Ding. Denn die Meisten sprechen durch Geduld oder Abhärtung gegen die Tortur derselben dergestalt Hohn, dass die Wahrheit auf keine Weise von ihnen herausgebracht werden kann; Andere sind wiederum so kleinmüthig, dass sie lieber Alles lügenhafterweise zugeben, als die Tortur ertragen wollen; die Folge davon ist, dass sie auf eine oder die andere Weise gestehen, und nicht blos sich selbst, sondern auch Andere verdächtig machen. [Otto 1832, Pandect. L. XLVIII. Tit. 18, S. 1009]

Semantische Prozesse: phraseologisiert - Figuriertheit: Hyperbel (vor allem reinste Folter); Drastik - Querverweis: ↑etw. ist eine Tortur (für jmdn.)

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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