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Haut und Haar

Haut und Haar: mit Haut und Haar(-en)

Umschreibung: ganz und gar, völlig [DUR: Haut]; der gesamte Mensch mit seiner Persönlichkeit; der gesamte menschliche oder tierische Körper [vgl. DWDS: mit Haut und Haar]

Analyse der Bedeutung: Das feminine Substantiv ‚Haut‘, in der Bedeutung von ‚die gesamte Körperoberfläche bei Mensch und Tier überziehendes, aus mehreren Gewebeschichten bestehendes Organ‘ oder von ‚umhüllende Schicht, Hülle, Schale‘, weist die Formen ahd., mhd. hūt, hout im Sinne von ‚Haut, Fell’, asächs. hūd, mnd. hūt, mnl. huud, nl. huid, aengl. hȳd, engl. hide, anord. hūð, schwed. hud auf und lässt sich mit lat. cutis (‚Haut‘), griech. skȳ́tos (σκῦτος) (‚zubereitete Haut, Leder, Lederriemen’) verbinden. Sie führen auf die ie. Wurzel *(s)keu-, *(s)keu̯ə-, *(s)kū- (‚bedecken, umhüllen’) zurück. [Vgl. WPE: Haut].
Das Substantivum ‚Haar‘, mit welchem auf das ‚auf der Haut wachsende fadenförmige, biegsame Horngebilde‘ bzw. die ‚Gesamtheit der Haare auf dem Kopf‘ referiert wird, lautet im Ahd., Mhd. Asächs., Mnd. hār, im Mnl. haer, im Nl. haar, im Aengl. hǣr sowie hēr, im Engl. hair, im Anord. hār und im Schwed. hår. Möglicherweise entstammen die Formen der ie. Wurzel *k̑er(s)-, womit ‚Borste‘, ‚steifes Haar‘ oder ‚rau und kratzig sein‘ bezeichnet wird. [Vgl. WPE: Haar].
Die alliterierende Paarformel ‚Haut und Haar‘ lässt sich als alte Rechtsformel identifizieren, die in deutscher Form bereits im Sachsenspiegel zwischen 1220 und 1235 ausfindig gemacht werden kann. Dort drückt hût unde hâr metonymisch lîf, d. h. ‚Leben‘ oder ‚Leib‘, aus und ist hier bereits der eigentlichen, ursprünglichen Bedeutung entrückt. [Vgl. ROE: Haut]. Ein Jahrhundert zuvor belegen Rechtsquellen bereits die lateinische Variante pro pelle et capillis, die eine spezielle Form der Leibesstrafe bezeichnet, bei welcher die delinquente Person um ihr Kopfhaar gebracht wird und ihre Haut durch Rutenschläge gepeinigt wird. [Vgl. DRW-WA: Haar III2].
Der Phraseologismus mit Haut und Haar(-en) stammt folglich aus dem Kontext der Leibesstrafen, wo zwischen ‚Verstümmelungsstrafen‘ und ‚Strafen an Haut und Haar‘ näher differenziert wird. [GG] Letztere Kategorie umfasst die Schläge, die mittels Rute, Peitsche oder Stock erteilt werden konnten, sowie das Entfernen des Haupthaares, wobei für die fränkische Zeit vermutet wird, dass man die Kopfhaut mitentfernte, um jeglichen Haarnachwuchs unmöglich zu machen. In späterer Folge praktizierte man allein das Abscheren, wodurch die delinquente Person als Täterin bzw. Täter öffentlich gekennzeichnet war. Je nach Schweregrad der Tat wurde angeordnet, wie viele Hiebe zu erteilen waren oder wie großflächig das Abscheren auszufallen hatte. Verhängt wurde sie bspw. bei milderen Körperverletzungsdelikten, Flüchen, Beleidigungen, kleineren Diebstahlsdelikten oder Fällen von Münzfälschung. Frauen, die ein Kind erwarteten, durften häufig maximal mit ‚Strafen an Haut und Haaren‘ belegt werden. Im Übergang zur Frühen Neuzeit löste das ‚öffentliche Aushauen‘ die paarige Strafform ab. [Vgl. HRG-AD: Leibesstrafen].
Mittels der bildhaften Formel mit Haut und Haar(-en) wird vor dem Hintergrund der speziellen Form der Leibesstrafe, die so gut wie den ganzen menschlichen Körper betreffen konnte, auf das gesamte Lebewesen einschließlich seiner Psyche Bezug genommen. [GG] - Entstehungszeit: 13. Jh. [Wagner: Mit Haut und Haar] - 

Realienkundliches: Das Stadtrecht von Brünn aus dem 13. und 14. Jh. beinhaltet, dass Kinder unter 14 Jahren, wenn sie durch Diebstahl straffällig geworden sind und sich nicht freikaufen können, nicht mit dem Galgen, sondern mittels Rutenschlägen und Haarscheren bestraft werden:

219. Daz chind hinder vierczehen iaren nicht mag den galgen verdienen.
Item, di weil ein iunglinch vierczehen iar alt volchleich nicht ist worden, di weil verdient er nicht den galgen mit stelen: sunder hat er aigen guet mit dem schol man di diephait czwivoltig gelten und schol auch dem richter nach genaden abtragen; hab er nicht aigen guet, so schol man im mit rueten an der schraiat haut und har abslahen. [Rössler 1852, S. 399]

Diastratik: umgangssprachlich [DUR: Haut] - Semantische Prozesse: phraseologisiert; Zwillingsformel - Interlingual Kompatibles: dän.: med hud og hår [PONS]; frz.: corps et âme [PONS]; isl.: með húð og hári [PONS]; nl.: met huid en haar [PONS]; norw.: med hud og hår [PONS]; schwed.: med hull och hår [PONS]; slowen.: s kožo in kostmi [PONS] - Figuriertheit: Drastik; Alliteration; Hyperbel

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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