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Kragen

Kragen: jmdm. an den Kragen wollen

Umschreibung: jmdn. zur Verantwortung ziehen wollen, ihr/ihm Schaden zufügen, sie/ihn verprügeln wollen [DUO: Kragen; GG; vgl. DUR: Kragen]

Analyse der Bedeutung: Zur etymologischen Herleitung von ‚Kragen‘ siehe die metaphorische Wendung ↑jmdm./etw. geht es an den Kragen.
Eine kursierende Herleitungsidee der Wendung jmdm. an den Kragen wollen nimmt auf die Zweikampfsituation Bezug, in welcher es das Ziel wäre, den Gegner in einen Würgegriff zu nehmen. ‚Kragen‘ wird dabei folglich in der alten Bedeutung von ‚Hals‘ interpretiert. [Vgl. DUR: Kragen]. Beschäftigt man sich jedoch näher mit dem gerichtlichen Zweikampf und dessen Genese, zeigt sich, dass eine derartige Auseinandersetzung im europäischem Raum nie mit bloßen Händen, sondern stets mit Waffen in Form von Stöcken oder Schwertern beigelegt wurde. Das karolingische Recht legt dazu Kampfstock und Schild fest, während ab dem Jahr 820 mit Ludwig dem Frommen der Zweikampf vom Pferd aus mit Schwert und Lanze unter den Adeligen erfolgte. [Vgl. Nottarp 1956, S. 284]. Die Verbindung mit der Zweikampfsituation lässt sich unter der Prämisse, dass ‚Kragen‘ als ‚Kleiderkragen‘ oder mhd. hovetgate (nach Sachsenspiegel I 63,1) konzipiert wird, herstellen. [GG] Im Zuge einer rechtlichen Handlung galt das anständige Anfassen – nicht gewaltsames Packen! – des Gewandkragens im Mittelalter als rechtmäßige Aufforderung zum Zweikampf. [DWB1: Kragen]
Die Idee des Gerichtskampfs unter zwei Beteiligten liegt im germ. ‚Holmganga‘ begründet, wo das relativ enge Kampfareal durch Haselruten abgesteckt und jeder einzelne mit drei Schilden, einem Schildträger und einem Schwert ausgerüstet war. [Vgl. HRG-KS: Holmgang]. Die germ. Gottesurteilskomponente im ‚Holmganga‘ gilt in Forschungskreisen einerseits als umstritten, da die Macht des Stärkeren im Fokus zu stehen scheint. Andererseits muss das übermittelte Zeichen oder Urteil nicht notwendigerweise an eine göttliche Instanz geknüpft sein, sondern kann sich ebenso durch den germ. Glauben an die entscheidende Kraft, die den vier Elementen oder den Waffen innewohnt, erklären lassen. [Vgl. HRG-KS: Holmgang; vgl. Nottarp 1956, S. 15; vgl. HRG-WS: Gottesurteil]. Der christliche Zweikampf wurzelt kontrastiv zu den übrigen Gottesurteilen nicht im engeren juristischen Ordal-Konzept, da dieser nicht zur Wahrheitsfindung oder als Beweismittel diente, sondern auf diesem Weg vor dem Hintergrund des archaischen Rechts des Stärkeren Entscheidungen gefällt wurden. Aspekte des Ordals lassen sich jedoch anhand der Überzeugung, dass der Ausgang des Kampfes göttlich bewilligt war, finden. [Vgl. Karner 2010, S. 19, 26f.].
Mit Bezug zur metaphorischen Wendung jmdm. an den Kragen wollen wird vom Bild des in seinem Ausgang göttlich bestimmten Gerichtskampfes motiviert, versucht, jemanden zur Verantwortung zu ziehen oder physische Gewalt an jemandem zu verüben. [GG]
Neben der Aufforderung zum gerichtlichen Zweikampf kommt dem Fassen an den Kragen als rechtliche Gebärde auch bei der Festnahme eines Streitgegners eine zentrale, symbolische Bedeutung zu [vgl. DRW-WA: Sachwaltige II; vgl. GRA I, S. 195f.] - 

Realienkundliches:

Vom gerichtlichen Zweikampfe
§ 1
Sve kampliken grüten wille enen sinen genot, die mut bidden den richtere, dat he sik underwinden mute enes sines vredebrekeres to rechte, den he dar se. Sven ime dat mit ordelen gewist wirt, dat he't dun mute, so vrage he wo he sik sin underwinden sole, als it ime helpende si to sime rechte. So vint man to rechte, getolike bi me hovetgate. Svenne he sik sin underwunden het, unde ine mit orlove gelaten hevet, so sal he ime kündegen, war umme he sik sin underwunden hebbe, dat mach he dun to hant of he wel, oder gespreke dar umme hebben. So mut he in scüldegen, dat he den vrede an eme gebroken hebbe, entweder uppe des koninges strate, oder in deme dorpe; to swelker wis he ine gebroken hebbe, to dere wis klage he up ine. So scüldege he ine aver, dat he ine gewunt hebbe, unde de not an ime gedan hebbe, de he wol bewisen moge. So sal he wisen de wunden, oder den naren of se heil is. So klage he vort, dat he ine berovet hebbe sines gudes, unde ime des genomen hebbe also vele, dat it nicht undürer ne si, it ne si wol kampwerdich. Disse drü ungerichte sal he to male klagen. Svelk ere he versviget, he hevet sin kamp verlorn.
§ 2
So spreke he vort: dar sach ik selve en selven, unde bescriede'ne mit deme rüchte; wil he's bekennen dat is me lif, unde ne bekant he's nicht, ik wille's ene bereden mit al dem rechte, dat me dat lantvolk irdelt, oder de scepenen of it under koninges ban is. So bidde jene ener gewere, die sal man ime dun. Doch mut de man sine klage wol beteren vor der gewere. Svenne die gewere gedan is, so biut jene sin unscult, dat is en eid unde en echt kamp, of he ine to rechte gegrot hevet, unde of it dar is, ik mene, of he't vor lemesle vulbringen mach.
§ 3
Iewelk man mach kampes weigeren deme, de wers geboren is denne he. Die aver bat geboren is, den ne kan die wers geborne nicht verlecgen mit der beteren gebord, of he en ansprict.
Kampes mach ok en man weigeren, of man ine grot na middage, is ne were er begunt. Die richtere sal ok plegen ens schildes unde enes sverdes deme, den man scüldeget, of he's bedarf. Kampes mach ok en man sinen mage beweren, of se beide sine mage sin, deste he dat selve sevede gewere uppe'n hilgen, dat se also na mage sin, dat se durch recht to samene nicht vechten ne solen.
§ 4
De richtere sal tvene boden geven ir iewederme die dar vechten solen, die dat sen, dat man se gerwe na rechter wonheit. Leder unde linen ding muten se an dun, alse vele alse se willet. Hovet unde vüte sint in vore blot, unde an den henden ne solen se nicht wen dunne hantzeken hebben; en blot svert in der hant, unde en umme gegort oder tvei, dat stat an irme kore; ene senewolden schilt in der anderen hant, dar nicht denne holt unde leder an ne si, ane die bokelen, die mut wol isern sin; enen rik sunder ermelen boven der gare. Vrede sal man deme warve biden bi me halse, dat se nieman ne irre an irme kampe. Ir iewederme sal de richtere enen man geven, de sinen bom drage; die ne sal se nichtes irren, wen of ir en valt dat he den bom understeke, oder of he gewunt wirt, oder des bomes bedet; des selven ne mut he nicht dun, he ne hebbe's orlof van me richtere. Na deme dat deme warve vrede geboden is, so solen se des warves to rechte geren, den sal en die richtere orloven. Ortiserne solen se von den svertsceiden breken, se ne hebben's orlof von me richtere. Vor den richtere solen se beide gegerwet gan unde sveren, die ene: dat die scult war si, dar he ine umme beklaget hevet; unde die andere: dat he unscüldich si, dat in got so helpe to irme kampe. Die sunnen sal man in gelike delen, alse irst to samene gat. Wirt die verwunnen uppe den man sprict, man richtet over ine. Vichtet he sege, man let ine mit gewedde unde mit bute.
§ 5
Die klegere sal irst in den warf komen; of die andere to lange in irret, die richtere sal ine laten vore eschen den vronen boden in deme huse, dar he sik inne gerwet, unde sal tvene scepenen mede senden. Süs sal man ine laden to deme anderen unde to deme dridden male. Ne kumt he to der dridden ladunge nicht vore, die klegere sal up stan, unde sik to kampe bieden, unde sla tvene slege unde enen steke weder den wint. Dar mede hevet he jenen verwunnen sogedaner klage, alse he ine an gesproken hevet, unde sal ime die richtere richten, alse of he verwunnen were mit kampe. [Sachsenspiegel I 63]

Diastratik: umgangssprachlich [DUO: Kragen] - Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart - Interlingual Kompatibles: ital.: voler prendere qn per il collo [PONS] - Figuriertheit: Drastik; auch hyperbolisch - Querverweis: ↑jmdn. einen Kopf kürzer machen; ↑jmdn. hängen sehen wollen; ↑jmds. Kopf fordern; ↑jmdm./etw. geht es an den Kragen

 

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Kragen: jmdm./etw. geht es an den Kragen

Umschreibung: jmd./etw. wird für etwas zur Verantwortung gezogen, jmdn. ereilt sein Schicksal [DUR: Kragen]; gegen jmdn./etw. wird eingeschritten [LDR: Kragen]

Analyse der Bedeutung: Das Maskulinum ‚Kragen‘, das heute hauptsächlich ‚den Hals umschließenden Teil der Kleidung‘ und landschaftlich den ‚Hals von Geflügel‘ bezeichnet, stand im Mhd. unter der Form krage anfänglich in der Bedeutung von ‚Hals, Kehle, Schlund, Nacken‘ und übernahm später jene von ‚Bekleidungsstück des Halses‘. Im Mnd. wird es als krāge, im Mnl. als crāghe, im Nl. als kraag und im Schwed. in der Form von krage realisiert. Möglicherweise steht mit diesen auch engl. craw ‚Kropf der Vögel‘ in Verbindung. Über griech. bróchthos (βρόχθος) ‚das Verschlucken, Schluck, Schlund’ sowie air. brāgae, das ebenso den ‚Hals‘ oder ‚Nacken’ ausweist, wird auf die ie. Wurzel *gu̯er(ə)- (‚verschlingen, Schlund’) geschlossen. Während die Redensart es platzt jmdm. der Kragen auf das Kleidungsstück anspielt, referieren die metaphorischen Wendung es geht um Kopf und Kragen sowie jmdm./etw. geht es an den Kragen auf den rechtlichen Strafprozess. [Vgl. WPE: Kragen]. Erst ab dem 18. Jh. stoppte die synonyme Verwendung von ‚Kragen‘ für ‚Hals‘. [Vgl. LDR: Kragen].
Präziser formuliert, ist die vorliegende Wendung jmdm./etw. geht es an den Kragen aus der Exekution respektive dem rechtlich angeordneten Tod durch Enthauptung oder Erhängen entlehnt. [Vgl. LDR: Kragen]. Stärker scheint jedoch die Motivation aus der Galgenpraxis zu sein. [Vgl. DWB1: kragen]. Beide Strafformen betreffend vgl. näher ↑Halsabschneiderei sowie ↑ein Galgen für jmdn./etw. sein.
In beiden Fällen ist die Halsregion von einer lebensbedrohenden Gefahr betroffen, einerseits durch das Hinrichtungsinstrument des Schwertes oder des (Fall-)Beils, andererseits durch den Galgenstrick, der der Delinquentin/dem Delinquenten die Luft abschnürt. Vor dem Hintergrund der beiden Todesstrafen wird mittels der vorliegenden Wendung ein existenzbedrohender Umstand oder, dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird, zum Ausdruck gebracht. [GG] - Entstehungszeit: 17. Jh. [WPE: Kragen]; 18. Jh. [KUE I: Kragen] - Realienkundliches: Vgl. die Belege unter ↑Halsabschneiderei und ↑ein Galgen für jmdn./etw. sein. - Diastratik: umgangssprachlich [DUR: Kragen] - Semantische Prozesse: phraseologisiert - Interlingual Kompatibles: dän.: han hænger på den [PONS]; engl.: to be out for someone’s scalp [PONS]; ital.: ne va della sua pelle [PONS]; slowen.: gre mu za nóhte [PONS] - Figuriertheit: Hyperbel; Drastik - Querverweis: ↑jmdn. einen Kopf kürzer machen; ↑jmdn. hängen sehen wollen; ↑jmds. Kopf fordern; ↑jmdm. an den Kragen wollen

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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