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Richter

Richter: (jmds.) Richter sein / kein Richter sein

Umschreibung: (nicht) die Person oder Instanz für jmdn. sein, die über die absolute Entscheidungsmacht verfügt und dementsprechend agiert [GG]

Analyse der Bedeutung: Das maskuline Substantiv ‚Richter‘ weist im Ahd. die Form rihtāri (‚Leiter, Richter’) auf und wird im Mhd. mittels rihtære oder rihter (‚Lenker, Ordner, Oberherr, Regent, Richter’), im Mnd. als richtere oder richter sowie im Mnl. über rechter realisiert. [Vgl. WPE: Richter; vgl. DWB1: richter]. Weitaus frequentere historische Formen stellen die Varianten got. staua, altn. dómari, schwed. domare, dän. dommer und ahd. tuomo dar. [Vgl. DWB1: richter].
In ahd. Übersetzungen von lat. Quellen wird ‚Richter‘ auch ohne einen bestimmten juristischen Bezug verwendet [vgl. DRW-WA: Richter I]. In früherer Zeit kam dem Priester aufgrund des Opferritus, der mit dem Gericht verbunden war, eine gewichtige Rolle zu. Laut Tacitus wirkte dieser auch innerhalb des Heeres, und wie den Friesischen Quellen zu entnehmen ist, ebenso beim Zweigurteil. Mittels godi wurde im Altnord. der Gerichtsvorsteher bezeichnet, der u. a. für den Schutz und das Heiligen des Tempels als auch für das Ausrufen der Gerichte zuständig war und sein Amt an die nächste Generation weitervererbte. Ihm oblag die geregelte Ordnung eines ganzen Bezirkes (herađ), worin sich das sog. landþîng befinden konnte. Der Vorsteher jenes Bezirkes wurde als allsherjagodi bezeichnet. Des Weiteren konnte das Richteramt auch durch Könige oder Fürsten bekleidet sein – bis ins späte Mittelalter lässt sich der Vorsitz durch Landesherren und deren adelige Vertreter belegen, wobei Letztere ursprünglich vom Volk bestimmt wurden, jedoch später über den König ausgerufen wurden. Das salische und ripuarische Recht belegt über grafio, gravio und graphio die Position des Grafen als Richter, wobei bspw. mittels lantgrâvo, marchgrâvo, phalinzgrâvo, gouwigrâvo, centgrâvo oder dincgrâvo amtliche Differenzierungen ersichtlich sind. Was die Goten betrifft, wird als Gerichtsvorsteher ein sog. faþs vermutet. Sowohl die Lex Visigothorum als auch das Edictum Theoderici belegen für die richterliche Funktion u. a. einen judex sowie comes, während die langobardischen Gesetze neben judex auch einen actor publicus anführen. Der ſculdaſius bzw. ſculdahis war dem judex provincae untergeordnet. Vermutlich entlehnten die Goten richterliche Bezeichnungen wie millenarius, quingentenarius, centenarius oder decanus aus dem Militärwesen. Im Angelsächsischen tauchen Titel wie ſciregerêfa oder tûngerêfa auf, bei den Friesen ist ein sog. talemon belegt. Von lat. advocatus leitet sich der vogt als judex, defenſor patronuſ und als derjenige mit der meist höchsten Gerichtsbarkeit Beauftragte ab. Ab dem Mittelalter treten die Formen ampaht und amtmann zutage. [Vgl. GRA II, S. 359–368].
Als richterliche, jedoch keineswegs konstante Attribute sind Stab (vgl. ↑den Stab (über jmdn./etw.) brechen), Mantel (vgl. ↑etw. geht auf jmds. Kappe), Hut oder Waffen zu nennen. Analog zum König ist dem Richter ein separater Stuhl zugewiesen (vgl. dazu ergänzend die Rubrik ‚Realienkunde‘ innerhalb von ↑mit jmdm. hart/streng/scharf ins Gericht gehen), auf welchem er in einer vorgegebenen Beinhaltung sitzt. [Vgl. GRA II, S. 371–376].
Von der juristischen Persönlichkeit des Richters ausgehend, wird ‚Richter‘ auf andere Personen, auch im weiteren Sinne auf Gott oder Institutionen, die sich außerhalb des Rechtskontextes befinden, übertragen [DWB1: richter], um in analoger Weise auf deren Entscheidungsmacht anzuspielen [GG]. - 

Realienkundliches: Innerhalb der Deutschen Stadtrechte des Mittelalters wird für Straßburg um 1295 festgehalten, dass der Schultheiß zwei Richter als Vertreter wählen kann:

des schultheissen reht ist, dz er setze zwo personen an sine stat, die da rihtere heissent, also ersam liute, daz die burger zu gerihte wol mit eren vor in stan mögen
(um 1295 Straßburg/Gaupp,StR. I 50) [DRW-WA: Richter II 4]

Dem Fivelgoer Recht (1. H. 15. Jh.) zufolge besteht für den Richter auch die Möglichkeit, dem Gericht unter folgenden Umständen fernzubleiben:

hoc riuchter sa ther mei to tha ware nout kuma mith fretha mit fior sidum, sa mei hi itta huse wesa [wenn irgendein Richter nicht in Frieden mit vier Amtsgenossen zum Gericht kommen kann, so darf er zu Hause bleiben] (1. Hälfte 15. Jh. FivelgoR. 204) [DRW-WA: Richter II 5]

In Bernhard Walthers privatrechtliche Traktate aus dem 16. Jahrhundert findet sich unter dem Abschnitt Grundrechte im 8. Kapitel folgender Grundsatz formuliert vor:

[2] Wann ein Grundtherr vermeint, das ime ein Grundt als ein Reißguett oder von wegen der unbezalten Dienst oder ander Ursach halben verfallen sein soll, mag er in sollichem Fall selbs nit Richter sein, angesehen das niemandt in seinen selbs eignen Sachen sein selbst Richter sein soll. Er mag aber ein ander unparteiysche Person an seiner Statt zum Richter nidersetzen, der in der Sachen mit Vorbehalt der Appellation erkennen thue. [Rintelen 1937, Von den Grundrechten, das 8. Capitl., 2]

Semantische Prozesse: phraseologisiert - Figuriertheit: Hyperbel

 

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Richter: Wo kein Kläger, da kein Richter / Wo kein Kläger ist, (da) ist auch kein Richter/braucht es keinen Richter

Umschreibung: wenn niemand an einem Unrecht Anstoß nimmt, wird es auch nicht verfolgt [DUR: Kläger]

Analyse der Bedeutung: Zur Etymologie von ‚Richter‘ vgl. ↑(jmds.) Richter sein / kein Richter sein.
Nach Karl Friedrich Wilhelm Wander bestand im historischen Rechtswesen die Verpflichtung, dass die betroffene Person bei Delikten oder Ehrverletzungen Klage einzureichen hatte oder zur Fehde auffordern musste. Bei Unterlassung wurde über diese sowie über die delinquente Person eine Strafe verhängt. Dem entgegengesetzt, zählt es in späterer Zeit nicht mehr zum Aufgabenbereich des Richters, zur Klage aufzufordern. Fehlt folglich das Einreichen einer Klage, existiert auch kein Fall, der vor Gericht behandelt werden müsste. [Vgl. DSL: Kläger]. - 

Realienkundliches: Das Sächsische Weichbildrecht führt in der 2. H. des 14. Jhs. im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Vormundschaft und der Verwerfung eines Vormundes das wortwörtlich zu verstehende Rechtssprichwort Wo kein cleger ist, do ist ouch kein richter an:

Nota. Unde sint denne vil falsches geschit an vormundschaft, so sollit ir wissin, welchen vormunden man mit rechte vorwerffin mag. So mag man doch keinen vorwerffen er werde erst obirwunden. So man keinen obirwinden mag, do sie denne eyn cleger; wenne worumme? Wo kein cleger ist, do ist ouch kein richter. Ir sollet eigentlichen wissin obir eynen vormunden mag clagen, alz uns daz recht uswisit, der mundelin muter, ire amie unde eyn izlich wip, und alle die is durch got unde durch truwe wille thun wollen […] [von Daniels/von Gruben 1858, S. 310]

Semantische Prozesse: phraseologisiert; satzwertig; Sprichwort - Interlingual Kompatibles: engl.: No plaintiff, no judge. [dict.cc]; slowak.: Kde niet žalobcu, tam niet ani sudcu. [Austria Forum 2020]; slowen.: Kjer ni tožnika, ni sodnika. / Brez tožnika ni sodnika [Austria Forum 2020]; tschech.: Kde není žalobce, není ani soudce. [Austria Forum 2020]

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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