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Scherbengericht

Scherbengericht: (ein) Scherbengericht (gegen/über jmdn./etw. abhalten…)

Umschreibung: ein mehrheitlich gefa[ss]tes negatives Urteil (über andere Personen) [LDR: Scherbengericht]; harte Abrechnung, strenge Verurteilung, vernichtendes Urteil [eWDG: Scherbengericht]; ein oberflächliches Urteil einer großen Mehrheit [ROE: Scherbengericht]

Analyse der Bedeutung: Das Femininum ‚Scherbe‘ als ‚Stück zerschlagenes Geschirr‘ oder ‚Bruchstück‘ lautet im Ahd. skirbī(n), im Mhd. schirbe bzw. scherbe oder auch schirben (auch ‚Topf‘), im Asächs. haƀanskerƀin (genauer ‚Topfscherbe’), im Mnd. scherve sowie scherven, im Mnl. scerf, sceerf oder scerve mit dem Bedeutungsspektrum von ‚Bruchstück, Brocken, Topf, Münzstückchen’) und im Nl. scherf. Mit Blick auf den außergermanischen Sprachraum lassen sich Parallelen zu aind. karparaḥ (‚Schale, Topf, Hirnschale’), griech. karpós (χαρπός) (‚Frucht, Feldfrucht, Ertrag’), lat. carpere (‚rupfen, (ab)pflücken, zerteilen’), kslaw. črěpъ, črěpica (‚Scherbe, irdenes Gefäß, Schale’) bis hin zu russ. čérep (череп) (‚Schädel, Schale’) erkennen. Die Formen basieren auf der ie. Wurzel *(s)ker(ə)- (‚schneiden’). [Vgl. WPE: Scherbe].
Das Neutrum ‚Scherbengericht‘ wurde im 18. Jh. aus dem Griechischen bzw. ostrakismós (ὀστρακισμός) übersetzt, wo es auf eine ‚öffentliche Abstimmung‘ bzw. ‚Verurteilung durch Scherben oder Tontäfelchen‘, wie es für die Stadt Athen in der Antike überliefert ist, referiert. [Vgl. WPE: Scherbe].
Im Rahmen des jährlichen Ostrakismos bzw. Scherbengerichts war es möglich, Personen, die eine potenzielle Bedrohung für den Staat oder die Demokratie darstellten, aus der Stadt Athen zu verbannen. Die Bürger waren dazu angeleitet, über das Einritzen des Namens der auszuweisenden Person in eine Tonscherbe ihre Stimme abzugeben. Bei 6000 Stimmen war die bestimmte Person dazu verpflichtet, Attika für insgesamt zehn Jahre fernzubleiben. Nach Ablauf der Frist war der außer Landes verwiesenen Person die Rückkehr an ihr ehemaliges Gut gewährt. Ostrakisierungen wurden beginnend mit Hipparchos im Jahr 487 v. Chr. bis 416 v. Chr. praktiziert. [Vgl. LDR: Scherbengericht; vgl. ROE: Scherbengericht; vgl. WPE: Scherbe; vgl. Justus-Liebig-Universität Giessen 2021].
Vor dem Hintergrund des rigiden Verfahrens, wodurch eine Verbannung ohne jegliche weitere Begründung und ohne Recht auf Einspruch erwirkt wurde, hat sich im bildhaften Gebrauch die Strenge mit einem negativen Entscheid erhalten. [GG] - Entstehungszeit: 18. Jh. [WPE: Scherbe] - 

Realienkundliches: Die Projekt-Homepage zu ‚Die Ostraka der Kerameikosgrabung in Athen‘ der Universität Gießen führt u. a. eine Scherbe mit einer Stimme gegen Kallias Kratiou des Jahres 471 v. Chr. an:

„Der sonst unbekannte Kallias Kratiou wird auf vielen Ostraka von 471 v. Chr. mit den Persern in Verbindung gebracht - keine Kleinigkeit während der Perserkriege.“ [Justus-Liebig-Universität Giessen 2021]

Semantische Prozesse: sprichwörtliche Redensart (ein Scherbengericht gegen/über jmdn./etw. abhalten) - Allgemeiner Gebrauchskontext: auffallend in politischen Kontexten - Interlingual Kompatibles: ital.: fare ostracismo a qn [PONS] - Figuriertheit: Drastik; Hyperbel

 

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Projektleitung

Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr.

Wernfried HOFMEISTER



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